Friedhöfe ziehen Touristen an, wenn die Gräber Überreste verblichener Zelebritäten beherbergen. Auf dem Cimetière Père Lachaise gibt es den mit zahllosen knallroten Kussspuren seiner Verehrer fast gänzlich übermalten Stein Oscar Wildes. Chopin liegt auch hier und zieht noch immer Verehrerinnen in seinen Bann. Das Philosophenduo De Beauvoir und Sartre erwartet seine Fans am Nordausgang des Cimetière du Montparnasse. Die Liegestätte ist von Hunderten Zigarettenkippen übersät, vielleicht als Hommage an die leidenschaftlichen Raucher? Leser Heinrich Heines finden dessen Grab auf dem Cimètiere de Montmartre, wo er zusammen mit seiner Frau im katholischen Sektor des Friedhofs ruht.
Archiv des Autors: B_B
Wiener Impressionen
Ist Frau Schmetterling zu bedauern?
Butterfly ist nicht die Frau, die sich verliebt, von einem gewissenlosen Amerikaner geschwängert und verlassen wird, die später das Kind abgeben muss und sich vor Kummer umbringt. Diese Geschichte enthält zu viele Projektionen sentimentaler Europäer, die um romantische Liebe, Sehnsucht und Enttäuschung kreisen.
Klar ist, dass sie und Pinkerton sich nicht einfach zufällig irgendwo treffen, sondern dass sie diesem durch einen Heiratsvermittler zugeführt wird. So ziemlich als erstes wird sie gefragt, wie alt sie denn sei. Sie gibt die Frage zurück an die weißen Herren. Pinkertons Freund, Konsul Sharpless, schätzt sie auf 10 (!!!), geht dann auf 20. Nein, sie sei 15: „Ich bin schon alt.“ So steht es im Libretto.
Als Wien rot war
Mit der U-Bahn-Linie 4 geht es hinaus nach Döbling, in den am Donaukanal gelegenen 19. Gemeindebezirk. Die Endhaltestelle heißt Heiligenstadt, (Mitlesende Musiklehrer denken jetzt natürlich an Beethovens Heiligenstädter Testament). Beim Verlassen des Bahnhofs steht man vor einem gewaltigen Gebäuderiegel, dessen Schauseite freilich erst nach dem Durchschreiten eines Durchgangs sichtbar wird. Karl-Marx-Hof lautet die Bezeichnung der Anlage, in großen roten Buchstaben an der sandfarbenen Fassade auch von weitem gut zu lesen. Nach dreijähriger Bauzeit wurde der 1,2 km lange Monumentalbau 1930 eröffnet. Es war ein Denkmal, das sich die regierenden Sozialdemokraten setzten, wurde zur Ikone des Austromarxismus.Sechs rote Türme mit Fahnenmasten, in der Fachsprache Risalite, die jeweils durch große Torbögen die Verbindung zwischen Straße und Ehrenhof herstellen, akzentuieren die Fassade. In den dreißiger Jahren benutzten jedes Wochenende etwa 40 000 Fußballfans die Durchgänge, um zum Stadion Auf der Hohen Warte zu gelangen. Zeitgenössische Kritiker verwiesen indes darauf, dass das repräsentative Äußere im Widerspruch zur Ausstattung stand. Die rund 5000 Menschen, die in den 1382 Wohnungen lebten, hatten meist nur Zimmer/Küche/Kammer.
Die grellsten Erfindungen sind Zitate!
Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen.
Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden.
Die grellsten Erfindungen sind Zitate.
Sätze, deren Wahnwitz unverlierbar dem Ohr eingeschrieben ist, wachsen zur Lebensmusik. Das Dokument ist Figur.
Der Inhalt ist von dem Inhalt der nur in blutigem Traum verwahrten Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten.
(Karl Kraus im Vorwort der „Letzten Tage der Menschheit“)
Der Maniker des Antijournalismus
In Zeiten, da das papierlose Büro, die kreidefreie Smartboard-Schule, die digitale Zeitungslektüre alltäglich werden und die Druckerzeugnisse der Gutenberg-Zeitalters von der Turing-Galaxie in ihr digitales Archiv übernommen werden, soll hier an Karl Kraus erinnert werden: Moralist, Berserker, Sprachkünstler, Sprachdiener, Sprachkritiker.
Eine Woche Wien
Auf der Terrasse der Wiener Staatsoper. Es ist der 7. September 2020, kurz vor sieben. Nach sechsmonatiger Schließung, der längsten in Friedenszeiten jemals vorgekommenen, findet die Wiedereröffnung mit einer Premiere von „Madama Butterfly“ statt.
Wir haben eine Woche in Wien verbracht, wo das schon für Juni geplante Theaterspektakel „Die letzten Tage der Menschheit“ nun endlich in einer Eisenbahnremise in Meidling stattfand. Sieben Stunden Stationentheater mit Verpflegung bei Kerzenschein.
Für anderes blieb auch noch Zeit: die Reichskleinodien in der Hofburg, einen Mini-Sprachkurs im Esperanto-Museum, Thomas Bernhards Grab auf dem Grinzinger Friedhof, einen Spaziergang durch das „rote Wien“ und viele Cafébesuche.
Über all das wird hier demnächst zu lesen sein.
Halbe Welt
Halbe mag manchem als Ort der so genannten Kesselschlacht zwischen dem 24. und 28. April 1945, die etwa 60 000Todesopfer forderte, ein Begriff sein. Viele der deutschen und sowjetischen Opfer wurden auf dem Waldfriedhof Halbe beigesetzt. Hier ruhen aber auch hingerichtete Deserteure der Wehrmacht, Zwangsarbeiter und Verstorbene aus dem sowjetischen Speziallager Ketschendorf. Seit 1990 gab es jeweils am Volkstrauertag Aufmärsche von Alt- und Neonazis in Halbe, bis 2006 das Versammlungsrecht auf Friedhöfen eingeschränkt wurde.
Inzwischen hat der Ort eine Sehenswürdigkeit ganz anderer Art aufzubieten: den Kaiserbahnhof, wo am letzten Sonntag die Ausstellung Halbe Welt eröffnet wurde. In der Region ansässige Künstler und Künstlerinnen haben zum Thema Krieg und Frieden Bilder, Objekte und Fotos bereitgestellt, die im alten Bahnhofsgebäude (neben dem Kaiserbahnhof), das in Zukunft einmal zum Esperantozentrum werden soll, ausgestellt werden. Noch sind die Räume erst provisorisch hergerichtet.
Uckermärkisches Intermezzo
Zu Besuch bei Freunden in Lunow. Erst einmal K.‘s wunderbaren Garten besichtigen; hier gibt es 78 Tomatensorten zu bestaunen und zu verkosten. Besonders aromatisch ist die helle Snowball; sehr hübsch anzusehen die gelbe Citrina, einer der Lieblinge der Gärtnerin ist Ochsenherz Findling. Allerdings hat sie in diesem Jahr einige Verluste durch die Braunfäule hinnehmen müssen. Insekten aller Art fühlen sich in diesem Garten wohl, auch Eidechsen und sonstiges Getier.
Quilitz, Marxwalde, Neuhardenberg
An Denkmälern für Friedrich II. fehlt es nicht, vom monumentalen Reiterstandbild Unter den Linden, das den Feldherrn und Herrscher in Uniform und Hermelin zeigt, bis zur Statue auf dem Friedrichshagener Marktplatz, die daran erinnert, dass der König das Kolonistendorf Friedrichsgnaden (!) für Baumwollspinner aus Böhmen und Schlesien gründen ließ.