Einmaliges in Amsterdam

„Das gab es noch nie!“ die Presse überbot sich mit Superlativen, seit bekannt geworden war, dass ab Februar 2023 das Amsterdamer Rijksmuseum eine große Vermeer-Ausstellung ausrichten würde. Man müsse hinfahren, so Stefan Trinks in der FAZ, weil „es mit einiger Sicherheit in unserer Lebensspanne keinem Museum mehr gelingen wird, 28 der nur 37 ihm zuzuschreibenden Gemälde zusammenzuführen“. Wir buchten glücklicherweise sehr zeitig, denn Mitte März waren alle Tickets ausverkauft, obwohl man die Öffnungszeiten schon großzügig verlängert hatte.


Am Tag X standen wir früh auf, denn von unserem Hotel waren es etwa 40 Minuten Fußweg bis zum Museum und unser Zeitfenster begann um 9.15 Uhr. Trotz der guten Organisation hatte sich schon eine lange Schlange vor dem Einlass gebildet. Die Eintrittskarten wurden zweimal vorkontrolliert, bevor sie eingescannt wurden und man ein Armbändchen bekam, das für den ganzen Tag und das ganze Museum gültig war. So konnte man auch die Vermeer-Ausstellung mehrmals besuchen. Nach dem Ansturm am Vormittag ging es nämlich in der Mittagszeit etwas ruhiger in den Sälen zu.
Vor den einzelnen Gemälden wurden die Besucher durch eine halbkreisförmige Barriere auf Abstand gehalten – eine gute Lösung, durch die auf nervigen Alarm bei unzulässiger Annäherung verzichtet werden konnte. Man musste sich gedulden, bis man in die erste Reihe vorgerückt war, wo man nach Belieben verweilen und sogar fotografieren konnte.
Sprachen aus ganz Europa waren zu vernehmen, lange geflüsterte Dialoge, mit Seufzern durchsetzt, Zeigefinger wurden gereckt, aber auch stille Bewunderung und langes Verharren vor den Bildern waren zu beobachten. Es herrschte eine geradezu religiöse Andacht. Da war eine echte Fangemeinde, meist in vorgerücktem Alter, zusammengekommen.

Vor drei Jahren war Vermeer schon einmal in den Schlagzeilen gewesen, denn bei Röntgenaufnahmen war auf dem Bild der Dresdner „Briefleserin“, die vermeintlich vor einer leeren grauweißen Wand stand, ein leicht pummeliger großer Cupido entdeckt worden – natürlich ein Hinweis auf den erotischen Inhalt des Briefes, den die junge Frau liest. In aufwendigster Arbeit wurde dieses im 18. Jahrhundert übermalte Bild im Bild freigelegt und dann der Öffentlichkeit präsentiert.

So findet die Wissenschaft immer noch Erstaunliches über den großen rätselhaften Maler heraus, der wie kein anderer mit dem Licht Stimmungen erzeugen konnte, oft in demselben Setting von links kommend. Viele der Bilder sind klein und nur wenn sie im Druck stark vergrößert werden, ahnt man, mit welch ausgefeilter Technik das Leuchten der Gesichter und Gegenstände erzielt wurde. Das „Milchmädchen“ z.B. zeigt Brotreste, deren Kruste durch pointillistische Tupfen das Licht auffangen, während der irdene Topf in einer blauen Linie zum Glänzen gebracht wird.

Neben der innovativen Maltechnik bieten die inhaltlichen Anspielungen, oft allegorischer oder religiöser Art, viel Stoff für die Kunsthistoriker. Der Cupido ist z.B. beim Milchmädchen winzig klein auf einer Bodenfliese zugegen. Ihre entblößten Arme mögen die Zeitgenossen schon entsprechend eingestimmt haben. Einige der Bilder sind deutlich als Bordellszenen gekennzeichnet. Die „Spitzenklöpplerin“ wiederum macht nicht einfach nur Handarbeit, sie hat ein Französischbuch neben sich liegen und ist, anders als die Milchmagd, keine arbeitende Frau, sondern ein gebildetes Mädchen aus der Oberschicht, was übrigens auch ihre Kleidung verrät.

Der Katalog zur Ausstellung war in der deutschen Version schon ausverkauft, aber er ist im heimischen Buchhandel noch erhältlich und lädt zu weiteren Entdeckungen ein. Wenn die beiden Berliner Bilder dann einmal wieder zurück in der Gemäldegalerie sind, wird man sie mit ganz neuen Augen ansehen.

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