Ein Open Air Museum der Moderne

Das mittelalterliche Zentrum Rotterdams wurde bei einem vernichtenden Luftangriff durch die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 dem Erdboden gleichgemacht. Wir besuchten das Museum Rotterdam ’40-’45 NU am Coolhaven, wo dieser Akt der Zerstörung dokumentiert und sinnlich erfahrbar gemacht wird. Nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt erinnert die Statue Ungebroken Verzet an den Widerstand der Rotterdamer und die im 2. Weltkrieg Gefallenen. Sie ist Teil des Westersingel-Skulpturenwegs, der den Besucher in die Innenstadt führt.

Heute ist Rotterdam das Mekka all derer, die sich für moderne Architektur begeistern können. Das Stadtmarketing spricht gar vom „Manhattan an der Maas“, dessen Skyline sich ständig verändert. Auf unserem Tagesausflug konnten wir nur wenige Beispiele dieser im wahrsten Sinne des Wortes herausragenden Bauwerke sehen, doch schon bei der Ankunft beeindruckte die ikonische Centraalstation von 2014. Unterhalb des Gebäudes befindet sich ein Fahrradparkplatz mit 5190 Stellplätzen; 3000 Solarmodule auf einer Dachfläche von 10000 Quadratmetern liefern den Strom für die Beleuchtung, Rolltreppen und Fahrstühle.

Wir wollten zunächst einmal das Museum Boijmans von Beuningen aufsuchen, wo u.a. Hieronymus Bosch, Pieter Brueghel, Rembrandt, Jan Steen und Van Gogh zu besichtigen sind – jedenfalls dachten wir das. Aber schon rächte sich, das man dieses eine Mal nicht vorher ins Internet geschaut hatte. Denn das alte Museumsgebäude ist seit 2021 wegen einer dringend notwendigen Renovierung geschlossen und hat seine umfangreichen Bestände in ein Depot ausgelagert. Und was für eins!

„De Pot“ wird es im Volksmund genannt und angeblich hat sich das Architektenteam von MVRDV von einer Ikea-Schüssel inspirieren lassen. Die Spiegelfassade lockt nun nicht nur Kunstfreunde, sondern auch Fotografen und Selfie-Spezialisten aller Altersgruppen an. Man kann hier die Archivierung der Bilder, die nach „Klimazonen“ erfolgt, besichtigen, die Werke selbst aber nicht sehen. Deshalb begnügten wir uns mit der Außenansicht und spazierten zum nahe gelegenen Haus Sonneveld weiter.

In den 1930er Jahren beauftragte der Geschäftsmann Albertus Sonneveld den Architekten Leendert van de Vlugt, für seine Familie ein radikal modernes Wohnhaus zu entwerfen. Das Ehepaar Sonneveld warf alle Möbel und Gebrauchsgegenstände aus der alten Wohnung weg und zog 1933 zusammen mit den beiden Töchtern in den perfekt durchdesignten Neubau ein, wo von der Türklinke bis zum Teegeschirr alles einem rigiden Farb- und Materialkonzept unterworfen ist. Türkisblaue Kacheln im Badezimmer, im Esszimmer mit seinen feuerroten Schränken grasgrünes Geschirr aus Kunststoff, blassgelbe Betten und eine bronzefarbene Tapete im Elternschlafzimmer – dieser Umgang mit Farbe war damals ebenso ungewöhnlich wie die mit Linoleum belegten Böden. Alle Räume sind hell und luftig. Der Niederländische Funktionalismus weist einige Parallelen zum Bauhaus auf, ist aber völlig eigenständig.

Auch im Hinblick auf die technische Ausstattung überrascht das Haus. Es gibt 12 Telefone und eine Musikanlage, die von einer Bedienkonsole aus alle Räume beschallen kann. In der ehemaligen Garage kann man eine kleine Fotoausstellung und einen Dokumentarfilm über die Wiederherstellung des Hauses ansehen. Beeindruckend ist, dass man alle Räume ohne Absperrungen frei durchwandern kann, nur ein paar Überschuhe sind erforderlich.

Foto: Exmpletree/Wikipedia

Hungrig geworden, gingen wir zu der ebenfalls von Lonely Planet empfohlenen Markthal, einem riesigen hufeisenförmigen Gebäude, das seitlich Wohnungen enthält, und im Mittelteil besagte Markthalle, die aber eher eine sogenannte Foodhall ist mit Imbissständen, die Streetfood aller Herren Länder anbieten, aber auch ein paar konventionellen Restaurants, wo man bequem sitzen und sich bedienen lassen kann.

Gestärkt spazierten wir am Erasmus-Denkmal vorbei durch die belebten Einkaufsstraßen zum Bahnhof zurück, um zusammen mit offensichtlichen Berufspendlern und Flugtouristen (es ging über Schiphol) zurück nach Amsterdam zu fahren.

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