Erinnerungsort Rapallo



An der ligurischen Küste, genauer der Riviera di Levante liegt Rapallo, ein kleiner Ort mit guter Bahnanbindung und seit dem neunzehnten Jahrhundert Anziehungspunkt für Reisende, vornehmlich begüterte Engländer und Mitteleuropäer. In den frühen Achtzigern des 19. Jahrhunderts hat der migränegeplagte Friedrich Nietzsche hier lange Spaziergänge gemacht.

Über seinen gesundheitlichen Zustand äußert er sich in mehreren Briefen, unter anderem an seinen Verleger Schmeltzer, an die Freundin Malwida von Meysenburg und seinen engen Freund Franz Overbeck. Letzerem schildert er seine Verfassung „…wie bei einer Phosphorvergiftung: ewiges Erbrechen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit usw….“. Am 13. Februar 1883 kann er seinem Verleger trotzdem „etwas Gutes melden“, er hat „ein kleines Werk, (kaum hundert Druckseiten), dessen Titel ist Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen.‘ Es ist eine Dichtung oder ein fünftes Evangelium oder irgend Etwas, für das es noch keinen Namen gibt.“ in einer ersten Fassung fertiggestellt.

Pounds Wohnung war im 4. Stock.

Vom heutigen Massentourismus ist Rapallo zwar nicht gänzlich verschont, aber größeren Zuspruch finden Attraktionen wie Portofino oder die Cinqueterre sowie Camogli, die vom Ausgangspunkt Rapallo gut zu erreichen sind. In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts siedelte sich eine Reihe von Intellektuellen in Rapallo und Umgebung an. Das Zentralgestirn einer ständig oder besuchsweise anwesenden Literatengruppe war Ezra Pound, der von 1924 bis Ende des zweiten Weltkriegs in Rapallo und dem nahen Dorf Zoagli lebte. Pound hatte in den Salons in London und den literarischen Cafés in Paris geglänzt, zwei literarische Bewegungen (Imagism und Vorticism) auf den Weg gebracht und poetologische Überlegungen veröffentlicht und Teile seines Hauptwerks,der Gedichtsammlung Cantos. In Rapallo lebte zeitweise auch der irische Dichter und Nobelpreisträger W.B. Yeats. Beider intellektuelle Ausstrahlung ließ zeitweise andere Schriftsteller und Künstler in den Ort kommen. Sie diskutierten, produzierten eine Literaturbeilage in der lokalen Zeitung Il Mare und flirteten mit dem italienischen Faschismus. Pound allerdings wurde zum ausdrücklichen Parteigänger Mussolinis, für den er Propagandasendungen aufnahm, in denen er den „Wucher“ (Usury) als kapitalistische Hauptsünde geißelte und antisemitische Töne anschlug. Nach dem Krieg wurde er von den Amerikanern verhaftet, lange Zeit interniert. Der Todesstrafe entging er, weil sich viele Intellektuelle der englischsprachigen Welt für ihn einsetzten. Er kehrt nach Italien zurück, lebt gegen Ende seines Lebens auf der Brunnenburg bei Meran (s. Bild) und ist in Venedig begraben. Seine literarische Wirkung, sein Nachruhm und seine politische Verstrickung bestimmen sein widersprüchliches Bild in der Literaturhistorie. Auch der deutsche Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann hielt sich zeitweise in Rapallo auf. Weder er noch Kollege Yeats suchten den Kontakt. Es heißt, sie hätten sich stumm in einiger Entfernung voneinander mit einem Kopfnicken gewürdigt.

Im ersten Band des Sammelwerks Deutsche Erinnerungsorte findet sich das malerische, aber damals wie heute italienische Rapallo an der ligurischen Küste als Lokalität deutscher Geschichtsbetrachtung wieder. Hier wurde am 16. April 1922, einem Ostersonntag, der Vertrag von Rapallo unterzeichnet. Es ist ein Abkommen zwischen Deutschland und dem noch in der Konsolidierungsphase befindlichen Sowjetrussland. Signatare waren Reichskanzler Joseph Wirth auf deutscher Seite und Außenminister Walther Rathenau sowie Außenminister Georgi Tschitscherin auf russischer. Beide Seiten verzichteten auf Ersatz der Kriegskosten und der Kriegsschäden. Die 1918 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wurden wieder aufgenommen. Sowjetrussland und Deutschland wollten damit ihre internationale Isolierung durchbrechen. Beide Seiten versprachen sich auch eine Belebung der Wirtschaft. Bei den Alliierten und dem neu entstandenen polnischen Nationalstaat stieß der Vertrag auf Misstrauen und heftige Ablehnung. Auch die politische Rechte in Deutschland bekämpfte das Vertragswerk der „Erfüllungspolitiker“ von Weimar unerbittlich. Fast genau drei Monate, nachdem Rathenau seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte, wurde er von fanatischen Rechtsradikalen erschossen.
Das „Imperiale Palace Hotel“, in dem der Vertrag ausgehandelt und unterzeichnet wurde, liegt heute nicht mehr in Rapallo, sondern in Santa Margherita Ligure. Geschichtlich Interessierte können den Raum, heute Teil eines Luxushotels, besichtigen, sofern das Hotelmanagement zustimmt. International vernetzte Großfamilien, die das ganze Hotel gemietet haben, vereiteln allerdings gelegentlich den Zugang. Bis in unsere Tage kursiert übrigens die Anekdote, dass sich die deutsche Delegation die zuletzt eingegangenen russischen Vorschläge in der Nacht vor der Vertragsunterzeichnung in einer legendär gewordenen „Pyjamakonferenz“ ansah, um sich noch einmal abzustimmen.


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