Ist Frau Schmetterling zu bedauern?

Butterfly ist nicht die Frau, die sich verliebt, von einem gewissenlosen Amerikaner geschwängert und verlassen wird, die später das Kind abgeben muss und sich vor Kummer umbringt. Diese Geschichte enthält zu viele Projektionen sentimentaler Europäer, die um romantische Liebe, Sehnsucht und Enttäuschung kreisen.

Klar ist, dass sie und Pinkerton sich nicht einfach zufällig irgendwo treffen, sondern dass sie diesem durch einen Heiratsvermittler zugeführt wird. So ziemlich als erstes wird sie gefragt, wie alt sie denn sei. Sie gibt die Frage zurück an die weißen Herren. Pinkertons Freund, Konsul Sharpless, schätzt sie auf 10 (!!!), geht dann auf 20. Nein, sie sei 15: „Ich bin schon alt.“ So steht es im Libretto.

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Als Wien rot war

Mit der U-Bahn-Linie 4 geht es hinaus nach Döbling, in den am Donaukanal gelegenen 19. Gemeindebezirk. Die Endhaltestelle heißt Heiligenstadt, (Mitlesende Musiklehrer denken jetzt natürlich an Beethovens Heiligenstädter Testament). Beim Verlassen des Bahnhofs steht man vor einem gewaltigen Gebäuderiegel, dessen Schauseite freilich erst nach dem Durchschreiten eines Durchgangs sichtbar wird. Karl-Marx-Hof lautet die Bezeichnung der Anlage, in großen roten Buchstaben an der sandfarbenen Fassade auch von weitem gut zu lesen. Nach dreijähriger Bauzeit wurde der 1,2 km lange Monumentalbau 1930 eröffnet. Es war ein Denkmal, das sich die regierenden Sozialdemokraten setzten, wurde zur Ikone des Austromarxismus.Sechs rote Türme mit Fahnenmasten, in der Fachsprache Risalite, die jeweils durch große Torbögen die Verbindung zwischen Straße und Ehrenhof herstellen, akzentuieren die Fassade. In den dreißiger Jahren benutzten jedes Wochenende etwa 40 000 Fußballfans die Durchgänge, um zum Stadion Auf der Hohen Warte zu gelangen. Zeitgenössische Kritiker verwiesen indes darauf, dass das repräsentative Äußere im Widerspruch zur Ausstattung stand. Die rund 5000 Menschen, die in den 1382 Wohnungen lebten, hatten meist nur Zimmer/Küche/Kammer.

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Die grellsten Erfindungen sind Zitate!

Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen.

Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden.

Die grellsten Erfindungen sind Zitate.

Sätze, deren Wahnwitz unverlierbar dem Ohr eingeschrieben ist, wachsen zur Lebensmusik. Das Dokument ist Figur.

Der Inhalt ist von dem Inhalt der nur in blutigem Traum verwahrten Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten.

(Karl Kraus im Vorwort der „Letzten Tage der Menschheit“)

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Eine Woche Wien

Auf der Terrasse der Wiener Staatsoper. Es ist der 7. September 2020, kurz vor sieben. Nach sechsmonatiger Schließung, der längsten in Friedenszeiten jemals vorgekommenen, findet die Wiedereröffnung mit einer Premiere von „Madama Butterfly“ statt.

Wir haben eine Woche in Wien verbracht, wo das schon für Juni geplante Theaterspektakel „Die letzten Tage der Menschheit“ nun endlich in einer Eisenbahnremise in Meidling stattfand. Sieben Stunden Stationentheater mit Verpflegung bei Kerzenschein.

Für anderes blieb auch noch Zeit: die Reichskleinodien in der Hofburg, einen Mini-Sprachkurs im Esperanto-Museum, Thomas Bernhards Grab auf dem Grinzinger Friedhof, einen Spaziergang durch das „rote Wien“ und viele Cafébesuche.

Über all das wird hier demnächst zu lesen sein.

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Im Café Central

Die Reise nach Wien war lange im voraus geplant, denn es mussten begehrte Eintrittskarten erworben werden. Wir wollten über Bratislava fahren und eine Vorstellung von „Die letzten Tage der Menschheit“ besuchen, Karl Kraus‘ Antikriegsstück, mit Verpflegungspausen sieben Stunden lang, inszeniert von Paulus Manker in einer alten Eisenbahnremise. Die Aufführung wurde in den Herbst verschoben, aber als bekannt wurde, dass Österreich am 15. Juni seine Grenzen öffnet, haben wir nur den slowakischen Part storniert und sind gefahren.

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