Sag‘ an, mein Kind, so rau der Wind, …

… Berlin, Stettin, wieviele Städte sind? So fragte man vor langer Zeit wohl den Nachwuchs, um dessen Geographie-Kenntnisse zu testen. Die richtige Antwort lautete: vier, denn Sagan und Sorau sind Städte in der Niederlausitz, auf halber Strecke zwischen Cottbus und Breslau. Heute heißen sie Żagań und Żary, gehören zur Woiwodschaft Lebus und haben nach wie vor ihre Reize.

Żary hat gleich zwei Schlösser aufzubieten, die freilich nur noch Ruinen sind, obwohl sie den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden. Ein Großbrand im Jahr 2019 gab den bei unserem Besuch schon recht mitgenommenen Gebäuden wohl inzwischen den Rest. Es sind Schloss Bieberstein, dessen Herren ab 1524 unter böhmischer Landesherrschaft die Reformation einführten, und das Palais Promnitz, benannt nach dem Breslauer Bischof Balthazar von Promnitz, der nach dem Aussterben der Bieberstein-Linie das Anwesen erwarb. Die kauflustige Familie wird uns in  Żagań  und sehr viel später in Pszczynna (Pless) wiederbegegnen! Ein Nachfahre beschäftigte Georg Philipp Telemann, der ein Jahr in Sorau blieb, als Hofmusiker. Ihm ist ein Denkmal am Rynek gewidmet, ein typisch polnisches Denkmal, das den zu Ehrenden sitzend auf einer Bank zeigt. So kann man sich neben ihn setzen und sozusagen auf Augenhöhe kommunizieren.

Auf Augenhöhe kommt man auch Johannes Kepler nahe, der in der Fußgängerzone von Żagań steht. Er hatte sich auf Einladung Wallensteins zwei Jahre in der Stadt aufgehalten und 1630 hier die Ephemeriden, Gestirnberechnungstafeln, veröffentlicht. Das dortige Schloss, das zeitweise ebenfalls der Familie Promnitz gehörte, wird allgemein Wallenstein-Schloss genannt, denn der im 30-jährigen Krieg erfolgreiche Feldherr erhielt 1628 von Kaiser Ferdinand II. das Fürstentum Sagan als Geschenk. Er konnte sich dort nicht lange vergnügen, denn schon 1634 wurde er bekanntlich in Eger ermordet. Das Schloss ist gut erhalten, der weitläufige Schlosspark gepflegt. Er soll einmal so berühmt gewesen sein wie die Anlagen in Branitz und Bad Muskau.

Wir übernachteten in einer ehemaligen Fabrikantenvilla in Iłowa (Halbau), der Resydencja Janków, weil für den nächsten Tag noch ein Abstecher nach Brody (Pförten) geplant war. Das in malerischem Verfall befindliche Schloss hatte ebenfalls einmal den Biebersteinern gehört, seine Glanzzeit verdankt es aber dem Grafen Heinrich von Brühl (dem Namensgeber der Brühlschen Terrassen in Dresden), Minister des polnischen Königs und sächsischen Kurfürsten August II. Wir hatten den Ort vor Jahren entdeckt, als wir nach einem Besuch des Ostdeutschen Rosengartens in Forst keine Unterkunft finden konnten und nach Polen auswichen. Die Gästezimmer in den Kavaliershäusern sind mit Antiquitäten möbliert, die Küche ist traditionell, deftig und gut. Inzwischen wurden am Schloss Sicherungs- und Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt und man plant sogar, den alten Schlosspark wieder herzurichten. Ein Spazierweg führt durch alten Baumbestand, dann am Schilfgürtel entlang in großem Bogen um den Schlossteich herum.

Man sollte regelmäßig nachsehen, wie weit die Arbeiten inzwischen gediehen sind. Wenn man nur dürfte!

 

8 Gedanken zu „Sag‘ an, mein Kind, so rau der Wind, …

  1. Auch mich haben Bruchstücke des Gefichtes auf Ihre Seite gebracht….sehr interessant!
    Aber wie lauter der komplette Text?
    Liebe Grüße aus Remseck und vielen Dank im Voraus für die Aufklärung

    • Meines Wissens gibt es keinen weiteren „Text“, da es sich ja sozusagen um eine Scherzfrage handelt, auf die dann der/die Sprechende selbst die Antwort gibt.

  2. Vielen Dank!
    Mich führte das Gedicht auf Ihre Seite. Meine Mutter (Jahrgang ’35) sagte es mir gelegentlich auf. Ich verstand den Sinn kaum. Sie ist in Breslau geboren und durch die Kriegswirren und Flucht im Sauerland, später in Niedersachsen gelandet.
    Mein Vater, aus Schlesien (Neustadt), bereiste später mit meiner Mutter Polen und sie suchten ihre Geburtsorte auf.
    Jetzt denkt man an die vielen ukrainischen Flüchtlinge, die das gleiche Schicksal erleiden.
    Liebe Grüße aus Berlin, Sonja

  3. Ich war mit meiner Frau im Juli 2012 für 4Tage zu Besuch in SAGAN, in der Stadt, in der ich 1942 geboren wurde. Endlich wollte ich meinen Geburtsort kennenlernen, den ich seit der Umsiedlung nie wieder gesehen hatte und außerdem in dieser Stadt meinen 70. Geburtstag feiern… Ich war sehr angetan von dem was ich in dieser Stadt sah, die mal das Zuhause meiner Eltern und Großeltern war… Wir wohnten in der Martin Luther – Straße, direkt an der Kirche. Leider gab es niemand mehr, den ich noch nach Einzelheiten hätte befragen können… Mein Großvater arbeitete bei der Niederschlesischen Zeitung (Saganer Wochenblatt), die Großmutter als Schneidermeistern, meine Eltern beim Kulturamt der Stadt. Während einer Schlossführung am Tag meines Geburtstages lernten wir ein Ehepaar aus dem Umfeld der Stadt kennen, die Frau, eine Lehrerin, konnte uns übersetzen, was wir dort erklärt bekamen… Abschließend haben wir diese kleine Familie noch zum Kaffee ins Restaurant KEPLER eingeladen, aber leider nie wieder von ihnen gelesen oder gehört. Trotz allem war es für mich eine sehr schöne Zeit in Sagan, die ich nie vergessen habe und werde… Ich schicke liebe Grüße nach SAGAN und wünsche der Stadt bei all ihren geplanten Vorhaben viel Glück!!!

  4. Ich war als Kind mit 3 – 4 Jahren von Sommer 1943 – 12.02.1945 in Sagan evakuiert und bin dort in der Gnadenkirche Februar 1944 getauft .. Dann kam die Rote Armee . Seit 1991 besuche ich die polnische Familie die jetzt auf dem Bauernhof in Zagan – Boznow lebt . Einziges Problem : die Sprachbarriere ! Hoffe 2021 wieder Sagan zu sehen .

    • Das freut uns sehr, einmal eine so persönliche Stellungnahme zu erhalten. Auf unseren Reisen nach Polen haben wir gelegentlich Reisende getroffen, die wie Sie in ihrer alten Heimat unterwegs waren. Ja, das Polnische ist enorm schwierig! Auch nach jahrelangen Volkshochschulkursen haben wir kaum einen Baiswortschatz für den Alltag beisammen.Bleiben Sie uns als Leser treu!

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