Sie wohnen hier nicht mehr

Ruth Berghaus (1927-1996) und Paul Dessau (1894-1979) haben in Zeuthen gewohnt, in einem Flachbau direkt an der Dahme, sozusagen auf einem Seegrundstück. Die Choreographin und Regisseurin und ihr Ehemann, der Komponist, arbeiteten häufig zusammen, sie inszenierten gemeinsam Ballette und Opern.

Lothar, ehemaliger Tänzer und Choreograph und heute mit seinen 81 Jahren immer noch gestrenger Leiter einer etwas angejahrten Truppe von Bewegungsfreudigen, erinnert sich an folgende Episode aus den sechziger Jahren: In der Staatsoper gab man „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Sergej Prokofjew. Das Publikum war von den ungewohnten Klängen verstört und buhte ausdauernd. Paul Dessau habe vom Rang herab geschrien: „Ihr Idioten! Ihr habt ja gar keine Ahnung!“ und Ruth Berghaus habe hinter dem Vorhang ihm, dem jungen Eleven, aufgetragen, hochzulaufen und den Rasenden zum Schweigen zu bringen. Aber er habe sich nicht getraut.

Auf unserem Sonntagsspaziergang entlang der Dahme, einer doch recht kurzen Promenade, denn das Ufer ist meist bebaut und somit nicht zugänglich, kommen wir noch an einem zweiten geschichtsträchtigen Gebäude vorbei. Die heute dem Dussmann-Konzern gehörende prächtige Villa wurde 1909/1910 von Rudolph Hertzog  gebaut, dem Sohn des gleichnamigen Unternehmers, der um die Jahrhundertwende Berlins größtes Kaufhaus an der Breiten Straße besaß und schon damals einen florierenden Versandhandel betrieb. (Hallo, Jeff Bezos: Wer hat’s erfunden?). Hertzog schenkte das in einer Mischung aus Neobarock und Rokoko gestaltete Anwesen seiner Verlobten, Wally von Puttkammer. Sein Wert damals: vier Millionen Goldmark!

Nach dem zweiten Weltkrieg lag die Villa in der Sowjetischen Besatzungszone, die Enkelgeneration der Hertzogs wurde enteignet. Das Außenhandelsministerium der UdSSR übernahm und betrieb dort ein Erholungszentrum. Ende der 70er Jahre erhielt das Ministerium für Staatssicherheit die Villa und benutzte sie als Gästehaus für hochrangige ausländische Besucher. Schön haben sie es da gehabt, die Herrschaften vom VEB Horch und Guck.

Es ist Januar, aber der Vorfrühling macht sich schon bemerkbar. Der Ginster blüht, die Haselsträucher verstäuben ihre Pollen, sehr zum Leidwesen der Allergiker. Wie schön wären jetzt Kaffee und Kuchen im alteingesessenen Café Schulz. Es war einmal! Am Ort der unnachahmlichen Eierlikörtorte gibt es jetzt Second Hand Kinderkleidung.Tempus fugit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert