Literarische Reiseführer wenden sich vornehmlich an Bildungsreisende, grundsätzlich aber auch an all jene, die auratische Orte besuchen wollen, wo Kulturgeschichte vermeintlich oder wirklich erfahrbar wird. Das Motiv, ein solches Werk zu verfassen, kann ganz persönlich sein. So hat sich bei der sehr produktiven Essayistin und Schriftstellerin Roswitha Schieb mit der Zeit das Interesse an Osteuropa stetig verstärkt, auch deswegen, weil ihre Familie aus Schlesien stammt und unfreiwillig von dort umgesiedelt wurde. So heißt eines ihrer Bücher „Reise nach Schlesien und Galizien. Eine Archäologie des Gefühls“ (2000), ein späteres Reisefreiheit. Berichte und Erfahrungen aus Osteuropa“ (2016) und dazwischen steht ein „Literarischer Reiseführer Breslau“ (2004).
Archiv des Autors: B_B
„Die Trauer, das Weh, die Erinnerung.“
„Es war dir bewusst, dass die Hinreise nach G. – vormals L. – eigentlich eine Rückreise war.“ Wer spricht hier mit wem und worüber? Der Satz findet sich in dem Roman „Kindheitsmuster“ von Christa Wolf. Im Sommer 1971 fährt die Autorin mit ihrem Mann, der jüngeren Tochter und dem Bruder nach Gorzów Wielkopolski, das vor 1945 Landsberg an der Warthe war. Die Familie habe es so gewollt, bemerkt sie und ergänzt etwas abschätzig : „Der Tourismus in alte Heimaten blühte“. In die Rubrik „Begründung“ des damals noch notwendigen Antrags auf ein Visum trägt sie „Stadtbesichtigung“ ein, fügt im Roman allerdings hinzu: Besichtigung der sogenannten Vaterstadt.
Wszystkiego dobregu w nowym roku!
Ganz umsonst waren die diversen Polnischkurse bei Pani Anna, Pani Aleksandra und Pani Lidia doch nicht: Man kann im Warschauer Bahnhof eine Fahrkarte nach Krakau kaufen, Speisekarten lesen und an der Rezeption fragen, ab wieviel Uhr es Frühstück gibt. Und man erntet immer wieder ein erstauntes Lächeln: „Ah, pani mówi po polsku?“ Das wiederum führt regelmäßig zu einer völligen Fehleinschätzung der eigenen Möglichkeiten und zieht einen Wortschwall in abenteuerlicher Sprechgeschwindigkeit nach sich, nach dem man kleinlaut um Verständigung auf englisch bittet. Alternativ kann man auch freundlich nicken und hoffen, dass die Zustimmung zu was auch immer keine negativen Konsequenzen hat. Nun denn: Alles Gute im neuen Jahr! Wir starten einen Rückblick auf unsere Reisen nach Polen und beginnen mit einigen Appetithappen.
Ein Prosit oder Tod der Gemütlichkeit!?
Linke und andere Heimatdiskurse
Das Thema Heimat erlebt eine Phase der Hochkonjunktur. Mag sein, dass der September 2015 die Schleusen für einströmende Gedanken über deutsche Befindlichkeiten, deutsche Heimaten weit geöffnet hat. In den vergangenen vier Jahren jedenfalls häuften sich journalistische Texte und soziologische Veröffentlichungen über das Lebensgefühl und die gesellschaftliche Lage von Zugewanderten, von in Deutschland geborenen Menschen mit ausländischen Wurzeln und von sich gerade ansiedelnden Flüchtlingen. Desgleichen kursieren seit einiger Zeit Artikel unterschiedlichsten Niveaus über die Identität derjenigen, „die schon länger hier sind“ und gelegentlich noch „Einheimische“ genannt werden. Die einen fragen sich, ob der Heimatbegriff nicht überholt sei, im Grunde nur ein Zeichen für einen (präfaschistischen) Nationalismus: die „Heimat“ ein Wort, das ausgrenze. Die anderen vermuten, dass die völlige Aufgabe eines gemeinschaftsstiftenden Herkunfts- und Zugehörigkeitsgefühls zugunsten einer warmherzigen, aber realitätsfernen Weltumarmung die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gefährden könnte.
Fröhliche Weihnachten!
Wir bedanken uns bei unseren treuen Lesern für ihr Interesse und freuen uns, dass es laut Abrufstatistik immer mehr geworden sind. Den Chinesen, die sich ab und zu hierher verirren, wünschen wir ebenfalls 聖誕快樂 圣诞快乐!
Wir werden so bald wohl nicht verreisen können und daher zu Beginn des nächsten Jahres das Archiv öffnen. Reisen nach Polen werden im Fokus stehen, zunächst einmal Śląsk (Oberschlesien), aber auch Wrocław (Breslau), Kotlina Jeleniogórska (das Hirschberger Tal), Zielona Góra (Grünberg) und speziell für E. Łódź.
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Der vom Rübengarten
So heißt er nicht, obwohl dies eine annähernde Übersetzung aus dem Flandrischen wäre. In zeitgenössischen Dokumenten geistert er als Bethovn, Bethowen, Bethofn herum, denn damals gab es noch keine normierte Schreibung. Sein aktueller Biograf verwendet (wohl aus Marketinggründen) Beethvn und die Stadt Bonn BTHVN. Nun ja. Am gestrigen 250. Tauftag (sein Geburtstag ist unbekannt) war jedenfalls nicht an Beethoven vorbeizukommen. Printmedien, Fernsehsender und Rundfunkanstalten rühmten den Jubilar. Live aus Bonn wurde u.a. die Fünfte Sinfonie übertragen, mit Daniel Barenboim und dem West-Eastern Divan Orchestra.
Auch wir hatten uns vorgenommen, das Jubiläumsjahr angemessen zu begehen und besuchten gleich am Silvesterabend 2019 eine Aufführung der 9. Sinfonie im Staatstheater Cottbus. Aus den bekannten Gründen kamen wir nicht dazu, weitere Live-Konzerte wahrzunehmen.
BER: groß, schön, leer
Der heutige Tag bot die letzte Gelegenheit, vor dem Lockdown noch einmal weiter als bis zum nächsten Edeka-Markt zu gelangen. Also auf zum Ort der Sehnsüchte, dem Tempel der Reisenden, dem Sprungbrett in die Ferne! Wir fliegen zwar nicht, aber angucken wollten wir uns den neuen Flughafen schon.Nun heißt er nach Willy Brandt, obwohl seinerzeit die CDU Marlene Dietrich oder Albert Einstein präferierte, wohingegen die Grünen den Tegeler Otto Lilienthal behalten wollten. Das gewünschte Kürzel BBI (Berlin Brandenburg International) ließ sich nicht durchsetzen, da es bereits an den indischen Flughafen Bhubaneswar vergeben war. Hier ein paar Impressionen von unserem Besuch:
Brandenburger Barock
Wer die Kirche Mariä Himmelfahrt in Neuzelle betritt, glaubt angesichts der prächtigen Ausstattung, sich in Bayern oder Österreich zu befinden, ist aber gerade einmal 6 km von Eisenhüttenstadt entfernt. Neben dem Ruhm, das nördlichste Zeugnis süddeutschen und böhmischen Barocks in Europa zu sein, kann das Stift mit einer weiteren Sensation aufwarten: Seit 2017 leben hier wieder Mönche, zur Zeit sechs, von ihrem Mutterkloster Stift Heiligenkreuz in Österreich entsandt. Vorerst leben sie in einer Art WG im Pfarrhaus, aber ein Klosterneubau ist bereits angefangen. Und das im Gebiet der ehemaligen DDR, der mit Abstand gottesfernsten Region der Welt! Wer einmal Der Name der Rose von Umberto Eco gelesen hat (in den 80er Jahren als Raubdruck in Westberliner Kneipen verscherbelt), weiß, dass Mönche Stundengebete singen, und das tun sie auch hier, unsichtbar, von der Empore herab. Es beginnt um fünf Uhr früh mit den Vigilien und endet um 19.45 Uhr mit dem Komplet. Wir waren zur 30-minütigen Vesper um 18 Uhr da. Der freundliche Bruder, der die neugierigen Touristen anspricht, empfiehlt einen Platz im hinteren Kirchenteil, da sitze man etwas weniger unbequem, und reicht ein Buch mit den Texten der Stundengebete, zum Mitlesen, lateinisch und deutsch. Eine Hörprobe findet sich hier.
Wo der Stahl gehärtet wird
„Und ab 1975 hatten wir hier Kabelfernsehen“, sagt Herr Harz, der Wert darauf legt, dass er sich nicht mit „tz“ schreibt, „ARD, ZDF, NDR 3, DDR1 und 2“. Er führt uns durch die Wohnsiedlung 1, erbaut für die Stahlarbeiter einer Stadt, die noch gar keinen Namen hatte. Unter dem Motto „Stahl, Brot, Frieden“ als sozialistische Planstadt errichtet, war sie ab 1953 Stalinstadt – für acht Jahre. Weitere Siedlungen entstanden, zunächst mit Zweiraumwohnungen von 45 qm. Die Gebäudekomplexe haben schlichte Fassaden, vermitteln aber durch vor- und zurückgesetzte Teilabschnitte nicht den Blockcharakter der späteren Plattenbauweise. Hochwertiges Material wurde verarbeitet: Haustüren und Einfahrten sind mit rotem Sandstein umrandet, Dächer mit Schieferplatten gedeckt, Fassadenbilder aus Meißner Porzellan gefertigt. In den Wohnsiedlungen 2 und 3 wird – fern jeglicher Bauhausästhetik – der Wille zum Ornament deutlicher: verschnörkelte Balkongitter, Stuckrosetten, Veranden im Fachwerkstil und Reliefs mit figürlichen Darstellungen verschönern Fassaden. Die handwerklich meisterhafte Ausführung dieser „Kunst am Bau“ betont Herr Harz nicht ohne Stolz.
Gräber
Im traurigen Monat November war’s… fühlte sich aber an wie ein goldener Oktober. 14 Grad waren angekündigt, aber am frühen Morgen ahnte man doch schon winterliche Temperaturen. Unsere erste Station war der Waldfriedhof in Halbe, dessen Vorgeschichte im Eingangsbereich auf Bild- und Texttafeln dargestellt wird.