Brandenburger Barock

Wer die Kirche Mariä Himmelfahrt in Neuzelle betritt, glaubt angesichts der prächtigen Ausstattung, sich in Bayern oder Österreich zu befinden, ist aber gerade einmal 6 km von Eisenhüttenstadt entfernt. Neben dem Ruhm, das nördlichste Zeugnis süddeutschen und böhmischen Barocks in Europa zu sein, kann das Stift mit einer weiteren Sensation aufwarten: Seit 2017 leben hier wieder Mönche, zur Zeit sechs, von ihrem Mutterkloster Stift Heiligenkreuz in Österreich entsandt. Vorerst leben sie in einer Art WG im Pfarrhaus, aber ein Klosterneubau ist bereits angefangen. Und das im Gebiet der ehemaligen DDR, der mit Abstand gottesfernsten Region der Welt! Wer einmal Der Name der Rose von Umberto Eco gelesen hat (in den 80er Jahren als Raubdruck in Westberliner Kneipen verscherbelt), weiß, dass Mönche Stundengebete singen, und das tun sie auch hier, unsichtbar, von der Empore herab. Es beginnt um fünf Uhr früh mit den Vigilien und endet um 19.45 Uhr mit dem Komplet. Wir waren zur 30-minütigen Vesper um 18 Uhr da. Der freundliche Bruder, der die neugierigen Touristen anspricht, empfiehlt einen Platz im hinteren Kirchenteil, da sitze man etwas weniger unbequem, und reicht ein Buch mit den Texten der Stundengebete, zum Mitlesen, lateinisch und deutsch. Eine Hörprobe findet sich hier.

Ein wenig Geschichte

Kaiser Karl IV. hatte 1367 das Markgraftum (Nieder-)Lausitz erworben und dem Königreich Böhmen angegliedert. Schon seit dem 13. Jahrhundert existierte in Neuzelle ein Zisterzienserkloster, das in der Reformationszeit besondere Bedeutung erlangte, denn es war im weiten Umkreis die einzige Anlaufstelle für die dort lebenden Katholiken. 1429 wurde es beinahe zum Opfer der protestantischen Hussiten. Sie marterten, ermordeten oder verschleppten die Mönche und steckten die Gebäude in Brand.

Nach den Verheerungen durch den Dreißigjährigen Krieg wurde die gotische Hallenkirche durch Stukkateure, Holzschnitzer und Maler aus Böhmen barockisiert, hochspezialisierte Fachkräfte, die in dieser Zeit durch halb Europa tourten.

1815 fiel Neuzelle an Preußen, das Kloster wurde 1817 aufgehoben, die auf dem Gelände befindliche Kreuzkirche evangelisch, aber die Klosterkirche durfte weiterhin von der katholischen Gemeinde genutzt werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor das Kloster den Grundbesitz, der sich jenseits der neuen Grenze zu Polen befand, und weitere Flächen durch die Bodenreform der DDR. Das Stift wurde 1955 verstaatlicht.

Die Anlage

Seit einigen Jahren wird der barocke Garten wiederhergestellt, auch er der einzige seiner Art in Brandenburg. Da das Kloster auf einem Felssporn nahe der Oder errichtet wurde, führen Treppen zur streng geometrischen Anlage mit in Form geschnittenen Gehölzen, Wasserbecken und Skulpturen hinab. Eine Orangerie ist zum Café umgestaltet worden.

Leider war bei unserem Besuch die Kreuzkirche (s.o.) geschlossen und für die Ausstellung „Himmlisches Theater“, Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab, war es schon zu spät.

Kulinarisches

„Nimm dir Essen mit, wir fahrn nach Brandenburg!“, textete einst Rainald Grebe. Inzwischen haben es acht Brandenburger Restaurants in den Gault-Millau geschafft; Newcomer des Jahres 2020 ist die Wilde Klosterküche in Neuzelle. Dort hat man, wie inzwischen vielerorts üblich, eine Philosophie: „Wir trauen uns was, sind mutig und stets offen für neue Geschmackserlebnisse.“, liest man auf der Website und viele weitere Wir-Sätze folgen.

Die Vorsuppe heißt hier Soupe populaire, die Nachspeise Sweet dreams are made of this, Fleisch, Fisch und Gemüse stammen aus regionaler Erzeugung. Da das Angebot saisonal ist, wechselt die Speisekarte ständig. Wir waren Im Oktober dort und ganz zufrieden, wenn auch manche Schäumchen und Kügelchen ein wenig überkandidelt wirkten.

Wer Neuzelle googelt, landet jedoch vorerst nicht gleich im Gourmetrestaurant, sondern beim Online-Bierversand der Klosterbrauerei. Diese kann man besichtigen und anschließend, falls einem nicht nach Sterneküche zumute ist,  in der Klosterklause kräftig zulangen, z.B. Schwarzbierbraten mit Sauerkraut und Knödeln essen.

Unter den gegebenen Umständen hat Rainald Grebe aber doch noch Recht behalten. Bei Tagesausflügen empfiehlt es sich zur Zeit, ein Stullenpaket nebst Thermoskanne mitzunehmen.

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