Kupferstolz oder Lebensquell?

Aron Hirsch aus Finow hatte eine Idee: Auswanderungswillige Deutsche sollten im Frachtgepäck Fertighäuser für ihre neue Heimat mitnehmen können, aus Kupferblech gefertigt und somit  von geringem Eigengewicht. Verpackt in jeweils 34 Einzelpakete wurden tatsächlich 14 Häuser nach Palästina verschifft. In Haifa haben drei davon unbeschadet die Zeiten und das mediterrane Klima überdauert.

Doch bevor die Firma Hirsch Kupfer- und Messingwerke an den Export denken konnte, musste das ungewöhnliche Haus erst einmal beworben werden. Preise auf internationalen Ausstellungen sowie die Übernahme der Projektleitung durch Walter Gropius waren der Sache förderlich. Ab 1931 wurden Musterhäuser in der Siedlung Messingwerk bei Eberswalde errichtet, die heute unter Denkmalschutz stehen.

Viele Brandenburg-Touristen waren schon einmal in Niederfinow, denn das spektakuläre Schiffshebewerk  ist eine echte Attraktion. Dass das ganze Finowtal viele Schätze der Industriekultur birgt, ist weniger bekannt. Historiker verorten hier die Wiege der Brandenburg-preußischen Industrie, was man gut nachvollziehen kann, wenn man die Relikte der Produktionsstätten  besucht .

Die Messingwerksiedlung

Unübersehbar ragt das Wahrzeichen des Finowtals, der 48m hohe Wasserturm, empor. Im Auftrag der Firma Hirsch entwarf der Berliner Architekt Paul Mebes diesen Zweckbau, der der Versorgung der Wohnsiedlung und der Industrieanlagen diente. „Backstein-Expressionismus“ nennt der Kenner der Materie den Stil. Heute kann der Besucher bequem im Fahrstuhl die Aussichtsplattform erreichen und, falls er einigermaßen schwindelfrei ist, herumgehen und weit in die Landschaft schauen, bei gutem Wetter bis zum Berliner Fernsehturm. Im ehemaligen Wasserbehälter informiert eine Dauerausstellung über die Hirsch-Werke und ihre Produkte, darunter die Kupferhäuser.

Gustav Hirsch hatte das schon 1698 gegründete Werk 1863 für hunderttausend preußische Taler erworben. Man produzierte Bleche, Kessel, Drähte und Röhren, erhielt aber auch umfangreiche Rüstungsaufträge, u.a. für Munitionshülsen. In gut vierzig Jahren verzehnfachte sich die Zahl der Arbeiter, die Firma ging an den Neffen Aron über. Schon früh hatte man begonnen, für die Arbeiterschaft angemessene Unterkünfte in Firmennähe zu bauen. So finden sich noch heute niedrige Katen aus dem 17. Jahrhundert neben modernen zweistöckigen  Mietshäusern vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Herz der Siedlung ist der heute nach Gustav Hirsch benannte Platz. Bei Ausschachtungen war dort ein bedeutender Goldschatz zutage gefördert worden, Schalen, Armbänder, Ringe und Spangen aus der Bronzezeit,  die sich heute im Moskauer Puschkin-Museum befinden.

Leerstand und Verfall

Mitten in der Siedlung, zwischen schön renovierten Verwaltungsgebäuden und Arbeiterhäusern, wartet die Fabrikantenvilla noch auf ihre Wiederbelebung. Auch hier hinterließ der Architekt Mebes seine Handschrift, einen fast klassizistisch wirkenden Anbau und ein umlaufendes Fries mit Motiven, die auf die Familie und ihren Glauben verweisen. Aron Hirsch verstand sich in der Familientradition als neo-orthodox, schließlich hatte sein Onkel Gustav vor der Umsiedlung nach Finow die Reformgemeinde Adass Jisroel in Berlin gegründet. Im Obergeschoss des Hüttenamtes ließ er als Ersatz für eine am Ort fehlende Synagoge einen Betsaal für die jüdischen Arbeiter errichten sowie eine für die Feier des Sukkotfestes benötigte sog. Laubhütte, die inzwischen sorgfältig restauriert wurde. Hinter einer Glasscheibe kann sie derjenige betrachten, der es versäumt hat, sich einer Führung durch die Siedlung anzuschließen. Die Sympathie der Fabrikantenfamilie für die zionistische Bewegung führte schließlich zu der Idee mit den zerlegbaren Fertighäusern.

Nach dem Gang durch die Siedlung möchte der Besucher auch einmal die Fabrik selbst sehen, doch das weitläufige Areal ist umzäunt, die Tore sind verschlossen. Gut, dass Ortskundige einen Schleichweg kennen, auf dem wir dann doch auf das Gelände gelangen, wo Grafittikünstler ihrer Leidenschaft nachgegangen sind und den Spuren zufolge die ortsansässige Jugend Partys feiert. Riesige Produktionshallen mit hölzernen Dachstühlen, durch die man in den Himmel schaut; Schienen, die ins grüne Nichts zu führen scheinen, zerbröselndes Mauerwerk,   –  eine faszinierende Kulisse einstigen Industriefleißes tut sich auf, noch in ihrem Verfall erhaben.

Die HKM-Werke gerieten infolge der Weltwirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten, produzierten aber zunächst weiter Häuser. Erst als Kupfer zum kriegswichtigen Rohstoff erklärt wurde (und zwar bereits 1934!), wurde die Produktion eingestellt. Übrigens: Wer heute durch die Niemöllerstraße in Zeuthen spaziert, kann dort eines der erhaltenen drei Kupferhäuser bestaunen. Ob es das Modell Kupferstolz ist? Vielleicht Sorgenfrei oder Lebensquell? An Phantasie mangelte es der Werbe-Abteilung jedenfalls nicht.

 

 

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