Verkannt, verdrängt, vergessen

Das Bauhaus-Gebäude in Weimar, erbaut 1904-1911 von Henry van de Velde. Foto: Ralf Hermann/Wikipedia

Wer kennt nicht die hell- und mittelblau gestreiften Keramikarbeiten von Hedwig Bollhagen aus Marwitz, die auf der Unterseite ein eingeritztes oder aufgemaltes HB als Markenzeichen tragen? Das berühmte Dekor prangt auf Butter- und Keksdosen, Tassen und Tellern und wird seit Jahrzehnten gern gekauft. Bollhagen übernahm 1934 eine bestehende Keramik-Werkstatt, die sie ab 1946 selbstständig leitete und erfolgreich durch Verstaatlichung und Reprivatisierung führte. Die Jahreszahlen sollten indes aufhorchen lassen, vor allem wenn man weiß, dass die Vorbesitzerin Margarete  Heymann-Loebenstein nach England emigrieren musste. Die geschönte Firmengeschichte, die sich vielerorts findet, verschweigt manches.

Meisterklassen

Der Architekt Walter Gropius gründete 1919 die Bauhaus-Schule in Weimar und prägte sie bis zu seinem Weggang im Jahr 1928. Viel ist über diese Bewegung gesagt und geschrieben worden, über ihre Ideale, ihre „Meister“ (Lehrer) und Schüler, über ihre Häuser und Möbel, Gebrauchsgegenstände und Kunstwerke. Erst in jüngerer Zeit hat man begonnen, den Beitrag der Schülerinnen zu würdigen. Zum Jubiläumsjahr 2019 wurden Bücher wie Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus oder Frauen am Bauhaus herausgebracht, Theresia Enzensberger fiktionalisierte das Thema in ihrem Roman „Blaupause“, der Film „Lotte am Bauhaus“ lief in der ARD. Es geht hier um die ersten Frauen, die in Deutschland Zugang zu einer staatlichen Kunstschule hatten.

Margarete Heymann (Foto: Wikipedia)

Im ersten Semester hatten sich 84 Frauen und 79 Männer eingeschrieben. Kein Wunder, hieß es doch im Programm: „Als Lehrling aufgenommen wird jede unbescholtene Person ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, deren Begabung und Vorbildung vom Meisterrat als ausreichend erachtet wird.“ Doch Gropius bekam bald Angst vor seiner eigenen Courage, befürchtete, dass „der Ruf seiner Schule leiden könnte“, wollte keine „unnötigen Experimente“ mehr machen und forderte eine „scharfe Aussonderung gleich nach der Aufnahme, vor allem bei dem der Zahl nach zu stark vertretenen weiblichen Geschlecht“. Die Meister schlossen sich an. Gerhard Marcks wollte keine Frauen mehr in seine Töpferei aufnehmen, Carl Zaubitzer „das weibliche Geschlecht von der Druckerei fernhalten“. Nur mit großer Hartnäckigkeit gelang es einigen Frauen, sich Plätze in den Männerdomänen zu erobern, z.B. in der Wandmalerei. Margarete Heymann erkämpfte sich einen Platz in der Keramikklasse, wurde als „begabt, aber ungeeignet“ beurteilt. Sie verließ die Schule, heiratete und gründete eine Familie.

Frauenräume

Die Webereiklasse (Foto: Wikipedia)

Um die Sache nicht ganz so offensichtlich zu machen, wurden Studentinnen in die Weberei umgeleitet, die ab 1920 als reine Frauenklasse fungierte. „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib“, spottete Oskar Schlemmer. Die Weberei galt als Kunsthandwerk, in der internen Hierarchie als unterstes der Lehrfächer. Doch gerade sie entwickelte sich zur produktivsten und erfolgreichsten Sparte der Schule, Muster für Tapeten, Teppiche und Dekorationsstoffe wurden zur industriellen Produktionsreife gebracht und prägten für Jahrzehnte den Geschmack.

Der zweitgrößte Bereich, den Frauen am Bauhaus für sich eroberten, war die Fotografie, eine relativ junge Kunst, in der die Männer sich noch nicht als Platzhirsche festgesetzt hatten. Indes sank die Zahl der Studentinnen. Im Sommersemester 1922 waren es noch 52 Frauen und 95 Männer; im Wintersemester 1932/33 gab es am Berliner Standort nur noch 25 Frauen und 90 Männer. 1933 erhielten viele von ihnen Berufsverbot.

Arisierung, Exil, Tod

Foto: Wikipedia

Margarete Heymann-Loebenstein mietete 1923 zusammen mit ihrem Ehemann und Schwager einen stillgelegten Ofenbetrieb in Marwitz bei Velten. Dort baute sie sehr erfolgreich die nach den Initialen ihres Doppelnamens benannte Keramikwerkstatt Haël auf, deren Produkte mit  HL  signiert wurden. Nach dem Tod des Ehemanns und seines Bruders bei einem Verkehrsunfall führte sie das Unternehmen allein weiter. Nach 1933 wurde die Lage schnell unerträglich. „Aus dem Marwitzer Werk muss ein deutsches Unternehmen entstehen ohne Einfluss nichtarischer Personen“, schrieb ein Konkurrent aus Velten an die Behörden. Zwei Angestellte zeigten sie wegen „Verächtlichmachung und Herabminderung der deutschen Staatsautorität“ an. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise hatten dem Geschäft zugesetzt, doch letztlich waren es Denunziationen und Anfeindungen, die die Jüdin Heymann veranlassten, den Betrieb unter Wert an den Nazi und Generalsekretär des Deutschen Handwerks Heinrich Schild zu verkaufen. Dieser unterstützte Hedwig Bollhagen mit Kapital und unentgeltlichen Leistungen als Geschäftsführer bei der Etablierung der HB-Werkstätten für Keramik. Bollhagen übernahm Heymanns Idee mit den Initialen, zugleich wurde etwa die Hälfte ihrer Serien weiter verkauft. Ihr Service Norma produzierte man bis in die 60er Jahre .

Teekanne von Margarete Heymann (Foto: Sailko/Wikipedia)

Heymann gelangte über verschiedene Stationen nach Großbritannien, heiratete dort erneut und gründete unter dem Namen Greta Marks ein neues Unternehmen. Auch anderen Bauhäuslerinnen gelang die Flucht ins Exil; sie trugen die Bauhaus-Ideen in die ganze Welt: Gunta Stölzl führte eine Handweberei in der Schweiz, Anni Albers lehrte in North Carolina, Marli Ehrmann in Chicago, Marguerite Friedlaender in San Francisco. Sechs Bauhaus-Frauen wurden in Konzentrationslagern ermordet, darunter Friedl Dicker und Otti Berger.

Gefährtinnen und Ehefrauen

Gropius‘ Nachfolger in Dessau wurde 1928 der prokommunistische Architekt Hannes Meyer, der Wohnhäuser für die Arbeiterklasse entwerfen wollte. Auf ihn gehen die heute noch existierenden Gebäude für den ADGB in Bernau zurück. Nach internen Querelen und Konflikten mit den örtlichen Behörden wurde er 1930 entlassen. Ehemalige Studenten, die Bauhaus-Stoßbrigade Rot Front, darunter Meyers Chefsekretärin und Lebensgefährtin Margarete Mengel, begleiteten ihn in die Sowjetunion, wo er als Hochschullehrer tätig war. Die Jüdin Mengel wurde zum Opfer der stalinistischen Säuberungen, Meyer ging nach Mexiko und später in die Schweiz.

Lucia Moholy, fotografiert von ihrem Ehemann (Foto: Wikipedia)

Lucia Moholy, Fotografin und Frau von László Moholy-Nagy, forderte in ihrer Biographie, über die Rolle der Meisterfrauen zu schreiben, die keinen offiziellen Status hatten und doch maßgeblich an der Geschichte des Bauhauses beteiligt waren. Über die Meister selbst sei zu viel geschrieben worden. Als sie ihrem Mann 1923 ans Bauhaus folgte, konnte man dort noch nicht Fotografie studieren; die Klasse wurde erst 1929 in Dessau eingerichtet. Da lebte Moholy schon getrennt von László in Berlin und unterrichtete an der  privaten Kunstschule von Johannes Itten, auch er ein ehemaliger Bauhaus-Meister. Lucia Moholy war Jüdin, emigrierte nach London, war dort als Dozentin tätig und später weltweit erfolgreich.

Ise Gropius verzichtete auf einen eigenen Beruf, lektorierte die Texte ihres Mannes, arbeitete aber auch am Entwurf des Dessauer Meisterhauses und konzipierte Gebrauchsgegenstände. „Die Bauhaus-Idee wurde zu meinem zweiten Ich. Wenn man einmal davon infiziert war, hatte es Auswirkung auf jeden Aspekt des Lebens“, sagte sie in einem Interview. Als sie im amerikanischen Exil einer Zeitschrift den Aufsatz Grandma was a career girl anbot, erhielt sie eine Absage. Man wolle die „fürchterliche Vorstellung“ arbeitender Frauen, die Ise Gropius in ihrem Text darstellte und als Autorin auch selbst vertrat, nicht unterstützen oder gar begünstigen.

So ist die Geschichte der Bauhausfrauen einerseits ein Meilenstein der Emanzipation, in Teilen aber auch ein Zeugnis beschämender männlicher Arroganz. Ergreifende Schicksale stehen neben Erfolgsgeschichten. Die meisten dieser Frauen sind kaum bekannt.

Dieser Text erscheint in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift UHU

 

2 Gedanken zu „Verkannt, verdrängt, vergessen

  1. Während man die Gewichtung der drastischen „Folgen der Weltwirtschaftskrise“ für die Haël-Werkstätten (die zu starken Umsatzeinbußen, Verlusten und deutlich reduzierten Mitarbeiterzahlen führten) im Hintergrund und schließlich der antisemitischen Anfeindungen und Verfolgung ab 1933 als Gründe für den Verkauf unterschiedlich setzen kann, verhält es sich mit der Beschreibung des Produktionsprogramms der HB-Werkstätten für Keramik deutlich anders. Nur anfänglich (1934/35) hatten die Entwürfe Margarete Heymanns einen Anteil von circa 50 % an der Produktpalette. Ab 1936 wurden nur noch wenige Entwürfe Margarete Heymanns hergestellt; nach 1945 nur noch die Kanne Form-Nr. 173 (bis circa 1955), ein Teller und Schälchen (bis ca. 1965). Gänzlich falsch ist die Angabe „Ihr Service Norma produzierte man bis in die 60er Jahre“ – dieses wurde nur 1934/35 produziert, wie es auch auch den erhaltenen Musterkatalogen (Verkaufskatalogen) der HB-Werkstätten hervorgeht. Ebenfalls irrig ist, dass Marguerite Friedlaender in San Francisco gelehrt (bzw. gearbeitet) hätte: 1933 ging sie nach Putten bei Amersfort in die Niederlande, wo sie mit ihrem Mann Franz Wildenhain die Werkstatt „Het Kruijkje“; 1940 emigrierte Friedlaender in die USA, wo sie bis 1942 am College of Arts and Crafts in Oakland in Kalifornien tätig war. Ab 1942 lebte und wirkte Friedlaender dauerhaft in Guerneville in Kalifornien (circa 120 km von San Francisco entfernt), wo sie zunächst Mitglied der 1949 aufgelösten Künstlerkolonie „Pond Farm“ war und danach dort die eigene Keramikwerkstatt „Pond Farm Pottery“ gründete.

    • Sehr geehrter Herr Heger! Wir bedanken uns für Ihren ausführlichen Kommentar und die Korrekturen.
      Zum ersten Einwand: Offenbar gibt es in der Forschungsliteratur unterschiedliche Einschätzungen zum Arisierungsvorwurf. Unsere Quelle war bei diesem Text u.a. https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/grete-heymann-loebenstein/
      Hier findet sich der folgende Abschnitt:
      „Stattliche 66 Jahre nach Gründung der HB-Werkstätten von Kulturwissenschaftlerin Ursula Hudson-Wiedenmann nach potentiellen Schuldgefühlen befragt (angesichts des deutlich unter Wert erworbenen Werks), entgegnete Bollhagen: Heymann-Loebenstein habe »ja sozusagen Glück gehabt … überhaupt einen Käufer … gefunden zu haben« (zit. n. Hudson-Wiedenmann, 2012, S. 129). Fünf Jahre später rang Bollhagen-Biograph Andreas Heger nach ähnlichen Euphemismen: Die im NS-Artikel zitierte, eigens zur Diffamierung Heymann-Loebensteins in den HB-Werkstätten installierte »Schreckenskammer« habe gar nicht existiert, konstatierte er. Heymann-Loebenstein-Forscherin Hudson-Wiedenmann tat unterdessen 2007 neue Indizien für die Existenz der Kammer auf. (ebd., S. 136)“.
      Ebendort:
      „Dass bald darauf die Haël-Werkstätten den Namen »HB-Werkstätten für Keramik« trugen, Schild und Bollhagen also Heymann-Loebensteins Initialen-Spiel übernahmen, war keinesfalls die einzige Anleihe. Zugleich produzierten und verkauften sie fast die Hälfte der Serien weiter. Teils um die Lager zu räumen. Teils aus Überzeugung: Heymann-Loebensteins Service »Norma« lief offenbar bis in die 1960er Jahre übers Band“.
      Wir sind keine Wissenschaftler, versuchen aber, in seriösen Quellen zu recherchieren.Wenn dabei Fehler auftreten, tut uns das leid. Insoweit bedanken wir uns für Ihre Richtigstellung im Hinblick auf Marguerite Friedlaender.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert