Rohkunstbau

Seit 25 Jahren stellen Berliner Künstler in den Sommermonaten ihre Werke im Umland aus. Seinen seltsamen Namen erhielt das Projekt im Gründungsjahr 1994, als es in einer großen Betonhalle in Groß-Leuthen stattfand, die 1989 für die Arbeiterfestspiele der DDR errichtet worden war und wegen der geänderten Zeitläufte ein Rohbau blieb. Nach Stationen in Potsdam und im Havelland und einer Unterbrechung wegen fehlender Fördergelder ist es in diesem Jahr im Barockschloss von Lieberose beherbergt.

Dieses war der Herrschaftssitz der Familie von der Schulenburg, wurde um 1750 als vierflügelige Anlage erbaut, im 2. Weltkrieg teilweise zerstört. Ein verbleibender Turm ist 1975 eingestürzt. Nun steht die 3000 m² große Anlage leer und die Brandenburgische Schlösser GmbH sucht dringend einen Käufer.

Die Ausstellung hat 2020 das Motto „Zärtlichkeit“, ein Bezug, der sich dem Betrachter allerdings nicht ohne weiteres erschließt. In der Eingangshalle steht ein Tischfußball; „You are not alone“ hat Björn Melhus seine Installation genannt. Alle Spieler blicken in eine Richtung. Allein ist allerdings der Torhüter, wahrscheinlich schreckensstarr angesichts der ihm gegenüber stehenden Phalanx. „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ titelte seinerzeit schon Peter Handke.

Via (eigentlich: Volker) Lewandowsky nennt seine liegende Straßenlaterne, deren Leuchtmittel sich verflüssigt „Alles, was der Fall ist“. Nicola Kuhn, die die Ausstellung für den Tagesspiegels bespricht, erinnert dies an die Agonie der Straßen, als noch die Ausgangssperre galt. Andere mögen an einen Betrunkenen denken, der umgekippt ist und sich erbricht.

Der Gang durch die großen Säle, die vor allem im Untergeschoss durch aufsteigende Feuchtigkeit gelitten haben, entfaltet einen eigenen Reiz. Abblätternde Tapeten- und Farbschichten erzeugen ohne künstlerischen Eingriff abstrakte Gemälde an den Wänden. Im oberen Stockwerk ist der Erhaltungszustand besser; Stuckdecken, Holzvertäfelungen und wunderbare Kachelöfen vermitteln eine Ahnung davon, wie der Landadel im 18./19. Jahrhundert residierte.

Christiane Möbus lässt einen Raben namens Horst Ausschau nach seiner Partnerin/seinem Partner halten. Man beachte den Ring am linken Fuß; ist er verlobt oder verheiratet? Man sollte Horst allerdings weder mit Fragen behelligen noch ihm sonstwie zu nahe treten, denn er wird durch eine Plexiglaswand geschützt. Manch fettige Stirn hat hier schon Spuren hinterlassen. Horst blickt in den weitläufigen Schlosspark, in dem man nach dem Ausstellungsbesuch spazieren gehen kann; recht melancholisch erscheint er, aber auch das ist natürlich nur eine Projektion.

Gregor Hildebrandt setzt eine unendliche Säule aus gebogenen Schallplatten ins Treppenhaus; laut Karin Sander heißt der einsame nackte Mann im Stucksaal Hannes. Ist er unterwegs zum FKK-Strand? Oder hatte er einfach noch keine Zeit, seine Schuhe abzulegen? Die Kuratorin meint, es handle sich um eine subtile Intervention in den historischen Raum. Aha!

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In der ehemaligen Schlossküche zeigt die russische Video-Künstlerin Olga Chernysheva einen Film über eine Flussfahrt. Man hört russische Volksmusik, sieht tanzende Menschen, Flaschenbier trinkende Männer am Ufer und einen Sonnenuntergang. Viele gucken sich das gerne an, zumal es hier Stühle gibt, auf denen man sich ein bisschen ausruhen kann.

In dem Objekt mit verbogenen Baumschutzbügeln von Bettina Pousttchi „drückt sich Zärtlichkeit als innige Verbindung von Stärke und Nachgiebigkeit aus“, heißt es auf der Website von Rohkunstbau. Hier kommt das Ausstellungsmotto zum Zuge!

Und das hier? Ist das Kunst oder kann das weg? Weder noch!

Die Ausstellung ist noch bis zum 20.09.20 samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet; der Eintritt kostet 10 Euro.

 

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