Noch einmal raus…

…jedenfalls bis auf weiteres. Denn eine Ausgangssperre wird kommen, früher oder später. Die rapide steigenden Fallzahlen, das Beispiel des umgebenden Auslands und die Unvernunft der Spaßgesellschaft lassen keinen anderen Weg zu.

Wir sind am Sonntag sehr früh nach Bad Saarow gefahren, konnten sogar – mit Sicherheitsabstand – im spärlich besetzten Bäckerei-Café Dreißig Kaffee trinken und dann auf der Seepromenade die Sonne genießen.

„Veel  is hier nich …“

Im Kapitel „Eine Osterfahrt in das Land Beeskow-Storkow“ schildert  Fontane, wie er  in die Saarower Dorfgasse einbiegt und auf eine alte Frau trifft. Er fragt sie, ob sie noch den  Rittmeister Löschebrand, „einen pfiffigen alten  Junker“, gekannt habe.  Der  hatte einst den ganzen Scharmützelsee gekauft und verschiedene Gebäude auf seinen Gütern errichtet. Eine Schule gibt es, aber keine Kirche.  „Und is sonst noch was in Saarow zu sehn?“ „Ick glöw nich. Veel  is hier nich in Saarow. En nijen Kohstall …“. „Aber drüben in Pieskow?“  „Joa, in Pieskow. O woll, versteiht sich. In Pieskow, da möt wat sinn.“ Der Reisende resümiert dann noch lakonisch: „Wirklich, in Saarow war nicht viel …“.

Die Geschichte von  Saarow beginnt eigentlich erst um 1900. Die Entdeckung der  heilenden Thermalquelle bestimmt fortan das Geschick der Gemeinde. Wasser und mineralreicher  Schlamm dienten zur Behandlung von Hautkrankheiten und seit 1923 trägt Saarow den amtlichen Titel „Bad“. Mit heute rund 5000 Einwohnern ist es die größte Ortschaft am See.

1998 wurde ein neues Thermalbad eröffnet und in der Folgezeit hat Bad Saarow sich herausgeputzt, viele Häuser sind renoviert worden, die Grundstücke rund um den See sind  gepflegt, die Uferpromenade einladend. Freizeiteinrichtungen, Restaurants und Cafés sind in ausreichender Zahl und Güte  vorhanden und haben dem Ort das werbewirksame Prädikat „Qualitätsstadt“ eingetragen, das ein Tourismusverband vergibt.

Der Erfinder Bad Saarows

Er ist der erste freischaffende, ausschließlich planerisch und beratend tätige Gartenarchitekt Deutschlands: Ludwig Lesser (1869 – 1957). 1906 wird er mit der Gestaltung einer Landhaussiedlung am Nordufer des Scharmützelsees betraut. Hier verwirklicht er seinen Grundsatz, die Natur weitestgehend zu erhalten und die Bebauung schonend einzufügen. Im Norden und Westen bleibt das Seeufer frei zugänglich; für die ortsansässige Bevölkerung wie für die Besucher wird eine Promenade angelegt. Am Ostufer gibt es zwar auch private Seegrundstücke, die aber in gewissen Abständen durch öffentliche Plätze unterbrochen werden. In den folgenden Jahren gestaltet Lesser viele öffentliche Gärten und Grünflächen in Berlin, unter anderem die Gartenstadt Frohnau, den Friedhof Hermsdorf, Grünanlagen der  Gartenstadt Staaken sowie zahllose Privatgärten.

Insgesamt entwirft er rund 700 Anlagen im In- und Ausland, erhält 1909 eine staatliche Verdienstmedaille, weitere Auszeichnungen folgen. Er wird Dozent an der Humboldt-Hochschule in Berlin, gründet mit Dr. Ernst Schulze den „Deutschen Volksparkbund“, der weitläufige öffentliche Parks mit Trinkbrunnen und Erfrischungshallen, mit Wasserflächen und Liegewiesen einrichten möchte und wird 1923 Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft.

Mit der Landhaussiedlung in Bad Saarow hat Lesser sich ein Denkmal geschaffen, das besser als jede Plakette, Stele oder Skulptur sein Erbe am Leben hält.

Sehens- und Denkwürdigkeiten

Die  Nähe zu Berlin zog im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts viele Künstler, Architekten, Filmschauspieler und Literaten nach Bad Saarow. Hier konnten sie sich zurückziehen, um sich zu erholen oder um zu arbeiten. Der Bildhauer Josef Thorak lässt sich 1920 hier nieder und beauftragt den  Architekten Harry Rosenthal mit dem Bau eines  Atelierhauses. Dieser ist ein Vertreter der Moderne der 20er und 30er Jahre.  Sein Bau ist mit seinen organischen wie funktionalen Formen ganz der damaligen Debatte um eine neue Architektur verpflichtet, die eine ausdrucksstarke harmonische Einbindung in die Natur suchte.

Während Thorak zum gefragten Monumentalskulpteur der Nazis wird, der gigantische Männerkörper schafft, sich 1933 sofort von seiner jüdischen Frau trennt, um in die Reichskulturkammer eintreten zu können, muss Rosenthal  1939 nach London und später nach Palästina fliehen. Thorak wird nach dem Krieg von einer Spruchkammer, die seine Naziaktivitäten bewerten muss, als „unbelastet“ eingestuft. Er stirbt 1952 auf einem Schloss am Chiemsee, das er 1937 erworben hatte. Der deutschen  Geschichte entkommen auch harmlose Kulturtouristen nicht, selbst wenn sie nur einige Häuser in dem Kurort ansehen.  Bis zum 30. Januar 1933 hatten die etwa 140 jüdischen Grundbesitzer zum wirtschaftlichen Erfolg der Gemeinde beigetragen. 47 der Saarower Juden wurden Opfer der Shoa. Es sei noch einmal an  Ludwig Lesser erinnert. 1933 wurde er auf Grund seiner jüdischen Herkunft als Dozent der Humboldt-Hochschule entlassen und verlor alle öffentlichen Aufträge. 1939 emigriert er mit seiner Frau nach Schweden, wo er am 25.12.1957 verstirbt. Nach Deutschland kehrt er nie mehr zurück.

Der Eibenhof

Als Fontane auf seinem Weg nach Saarow hinab auf den See blickt, erkennt er „deutlich das hohe rote Herrenhausdach.“ Das Anwesen der Löschebrands war 1723 errichtet worden und ist in seinen wesentlichen Umrissen bis heute erhalten. Es steht auf der Halbinsel „Alte Eichen“ und war nach mehrfachem Besitzerwechsel ab 1919 Sanatorium, dann am Kriegsende Stabsquartier der 9. Armee der Wehrmacht. Nach dem  Krieg pachtet 1948 der „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ das Gut als Erholungsheim und Tagungsstätte. 1964 erfolgt der Ankauf.

Die Gästeliste des Eibenhofs ist so etwas wie ein „Who’s Who“ der DDR-Intelligenz. Johannes R. Becher, der auch ein Domizil in Bad Saarow hatte, ist bis zu seinem Tod ein ständiger Gast. Im Literaturkabinett der örtlichen Bibliothek ist ihm eine kleine Ausstellung gewidmet.

Der Eibenhof ist mittlerweile in Privatbesitz und zu einem Ort für Kulturveranstaltungen geworden, vom Nordufer des Scharmützelsees in Bad Saarow ist er in einem halbstündigen Spaziergang bequem zu erreichen, und wenn man den richtigen Zeitpunkt wählt, mag es einem wie Fontane gehen, der bemerkt: „… ich hörte nichts als den Windzug in den Binsen und das leise Klatschen der Wellen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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