Guter Wind und lange Bärte?

Mit dem Regionalzug fahren wir von Caserta nach Benevento, wo von den Bergen des Sannio herab der namensgebende gute Wind seine Bewohner erfrischt. So ist man geneigt, den eigenen Wahrnehmungen Sinn zu verleihen, doch halt! Es hat sich wieder einmal ein falscher Freund aufgedrängt, denn Beneventum bedeutet „gutes Ereignis“ und ersetzte bei der Gründung der römischen Kolonie das vorher gebräuchliche Maleventum. (Geschichtsinteressierte können die Hintergründe der Namensgebung bei Wikipedia nachlesen). Die Stadt war durch die Via Appia direkt mit Rom verbunden und entwickelte sich so zu einem bedeutenden Handelsplatz. Vom Bahnhof kommend, folgen wir dem schnurgerade verlaufenden Viale Principe di Napoli, überqueren den Fluss Calore und sind schon im Centro Storico, direkt am Domplatz.

Die moderne Fassade überrascht, wurde der Dom doch schon im 8. Jh. gegründet und im 13. Jh. romanisch erweitert. Doch nach einigen Schritten ist zu erkennen, dass es nur die Ostseite ist, die neu gestaltet werden musste: 1943 hatte ein Bombenangriff der Alliierten 65% der Stadt zerstört, darunter auch Teile des Domes. 1980 sorgte ein Erdbeben mit dem Epizentrum im nahe gelegenen Avellino für weitere Verwüstungen. Mit umso größerem Erstaunen sieht man die mustergültig wiederaufgebauten Palazzi, die den eleganten Corso Garibaldi schmücken, eine breite Fußgängerzone, wie sie in Kampanien eher selten ist. Und man erfährt, was eine Spolie ist: im lateinischen „Beute, Raub, dem Feind Abgenommenes“, in der Architektur ein Überrest älterer Bauten, der in neuen Bauwerken wiederverwendet wird, so wie das römische Paar, das vom Campanile des Domes „herabschaut“, möchte man sagen, aber die Gesichter sind doch arg lädiert.

Prachtstück aus römischer Zeit ist der Triumphbogen des Trajan, der 114-119 n.Chr. erbaut wurde. Anders als in vergleichbaren Fällen ist seine Marmor-Dekoration in den seither vergangenen Jahrhunderten nicht abgebaut oder zerstört worden. Vermutlich wurde das Bauwerk anlässlich der Einweihung der Via Traiano errichtet, jener Straße, die die Via Appia verlängerte und nach Brindisi führte. Der Kaiser wird als Wohltäter gefeiert, u.a. opfert er einen Stier und verteilt Lebensmittel an Kinder (Alimentatio Italiae); Volk und Senat sind Zeugen.

Wir folgten der Empfehlung des Baedeker und aßen im Traiano, einer Familientrattoria gleich gegenüber, deftige regionale Speisen.

Für einen relativ kurzen Zeitraum wurde Benevento Hauptstadt eines süditalienischen Herzogtums der Langobarden. Die kleine Kirche Santa Sofia ist von den Herzögen Gisulfo II. und Arechi II. um 760 in Auftrag gegeben worden, sozusagen als Hofkirche. Leider war der Innenraum dieses Weltkulturerbes pandemiebedingt nicht zu besichtigen, uns blieb nur die Außenansicht, z.B. ein Blick auf das wunderbare romanische Tympanon (Titelfoto). Der Kirchturm von Santa Sofia steht etwas entfernt, mitten in der Fußgängerzone. Er war bei einem Erdbeben umgestürzt und wurde in den 1950er Jahren erneuert.

Überwältigend dann der Kreuzgang des ehemaligen Klosters aus dem 12. Jh., heute Teil des Museo del Sannio, das glücklicherweise nach den üblichen Vorkehrungen (Impfpass, Kontaktinformation) betreten werden durfte. Eine Oase der Schönheit und Stille!

Dazu der Baedeker: ...übertrifft sämtliche Vorstellungen eines mittelalterlichen, arabisch-normannischen Paradiesgartens. Das Bildprogramm der Kapitelle umfasst realistische Jagdszenen, Fabeltiere, Kreurritter, Pflanzenmotive und christliche Symbole. Berühmt geworden ist vor allem die geknotete Säule.

Im November blühen hier die Rosen und die Zitrusbäume tragen reiche Frucht. Im angrenzenden Museum finden sich Informationen über die Langobarden, deren Name eventuell wirklich von ihren langen Bärten hergeleitet wird, aber vielleicht ist auch das nur eine Volksetymologie. Jedenfalls war ihre Verehrung für den Erzengel Michael die Grundlage ihrer Konversion zum Christentum. Von der langobardischen Sprache überliefert sind nur Personen-, Ortsnamen und Einzelwörter, die als Runeninschriften, später in lateinischen Urkunden bezeugt sind.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert