Eine Dynastie trumpft auf: Caserta

Als wir mit dem Treno Alta Velocità auf Caserta zurasten, klang uns noch die berlinische Frage im Ohr: „Wat wollter denn da, bombastisches Schloss mit verwahrloster Wiese, in der Stadt nur Mafia!?“ Wir hatten den Ort als Ausgangspunkt für Zugfahrten nach Benevent und Salerno gewählt und dem Baedeker vertraut, der die Stadt mit einem Stern versehen und hinter ihren Namen die freundliche Formel „Das Versailles Italiens“ gesetzt hatte. Es stimmt: Der gewaltige Schlossbau drängt sich dem Besucher schon beim Verlassen des Bahnhofs auf.

Traum eines Monarchen

Auftraggeber war Karl III., König von Neapel, ein Bourbone, von dem es heißt, er sei nicht sehr gebildet, aber ein leidenschaftlicher Jäger gewesen. Ein spätabsolutistisches Repräsentationsbedürfnis zeichnete ihn augenscheinlich ebenfalls aus. Um die Reggia Borbonica als neue Residenz außerhalb Neapels errichten zu lassen, nahm er die Dienste des bedeutendsten Architekten des neapolitanischen Barocks in Anspruch, Luigi Vanvitelli, heute als größter Sohn Casertas gefeiert und in Stein verewigt. 1752 war die Grundsteinlegung, vollendet wurde der Bau eigentlich nie, denn die geplante quadratische Struktur des Objekts wurde aufgegeben, die riesigen Räume wurden erst im 19. Jahrhundert nach und nach ausgestattet.

Was nach dem Tode Vanvitellis unter der Leitung seines Sohnes Carlo fertig wurde, ist allerdings imposant genug. Auf das Schloss zulaufend nähert sich der Besucher einer rund 250 Meter messenden dreistöckigen Fassade, die Seitenfassaden sind gut zwei Drittel lang. In der Gesamtfläche von über 44 000 Quadratmetern sind die vier Innenhöfe mit 16 000 Quadratmetern enthalten. Diese Dimensionen machen das Gebäude neben dem Escorial und Versailles zum größten Schloss absolutistischer Überwältigungsarchitektur in Europa. Die Italiener sagen: „è una bomba“.

Ein großzügiges Raumangebot

Wer das Schloss besichtigen möchte, muss viel Zeit mitbringen, um die ungezählten Räume und Säle, die zwei gewaltigen Haupt- und einige der dreißig Nebentreppen bewältigen zu können. Die Ausstattung der Hofkapelle und der königlichen Gemächer ist barocktypisch, opulent also, und im Falle der Kapelle jener in Versailles nachempfunden. Die ersten zu besichtigenden Schauräume sind noch nach den Plänen Vanvitellis gestaltet und glorifizieren die Dynastie der Bourbonen. Der Thronsaal, größter Raum des Schlosses, verbindet West- und Ostflügel; das Deckenfresko gedenkt der Grundsteinlegung des Bauwerks in Gegenwart des Königspaares. Die royalen Privaträume enthalten zeitgenössische Interieurs. Es gibt das Schlafzimmer des unglücklichen Joachim Murat, Schwager Napoleons, der von 1808 bis 1815 als Gioacchino I. König von Neapel war und nach der Wiederkehr der Bourbonen in Kalabrien hingerichtet wurde. In weiteren Räumen finden sich Gemälde, zum Beispiel Veduten des Deutschen Jacob Philipp Hackert, es gibt eine riesige Krippe mit vielen Figuren aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (s.o.). Auch für eine stattliche Bibliothek hat sich ein geräumiger Ort gefunden. Sogar einer nicht unbedeutenden Sammlung moderner Kunst bietet der Palast Platz. Ein angesehener neapolitanischer Galerist und Sammler, der seine Schätze der Stadt gegen die Bereitstellung eines geeigneten Gebäudes vermachen wollte, fühlte sich hingehalten und wich nach Caserta aus, wo an repräsentativen Räumen kein Mangel herrscht. Eine weitere sehenswerte Besonderheit des Schlosses ist das „Teatro Storico“, das bereits 1769 eröffnet wurde. Man könnte es als Miniaturausgabe des Teatro San Carlo in Neapel bezeichnen. Beide Häuser sind prunkvoll gestaltet und haben der Akustik zuliebe eine Hufeisenform. Der Theaterraum der Reggia ist ein idealer Ort für Gesangsdarbietungen und wird immer wieder für Barockmusikkonzerte genutzt. Cecilia Bartoli tritt hier gerne auf und betört ihr Publikum; auf Arte und natürlich YouTube finden sich in Caserta aufgezeichnete Soloabende der Sängerin.

Luigi Vanvitellis Meisterwerk

Wenn man beim Verlassen des Palasts nicht den Ausgang über den gärtnerisch etwas stiefmütterlich behandelten Vorplatz wählt, sondern durchs Nordportal schreitet, bietet sich den Besuchern ein atemberaubender Anblick …

 

 

 

 

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