Vom Ernst-Barlach-Museum, das sich unmittelbar neben dem Atelierhaus des Künstlers befindet, führt ein schöner Spazierweg, teils am Seeufer entlang, in den historischen Stadtkern Güstrows , der von zwei mächtigen Kirchen dominiert wird. Unweit des Marktplatzes, der von gut restaurierten Renaissance-Häusern gesäumt ist, thront die Evangelische Pfarrkirche St. Marien, deren wertvollster Kunstschatz ein spätmittelalterlicher Flügelaltar ist. An einem Pfeiler hängt ganz unspektakulär der Engel der Hoffnung, ein Terrakottarelief Barlachs.
Beim Durchblättern der ausliegenden Broschüre erfährt man, dass das im 8. Jahrhundert gegründete slawische Fischerdorf Guscerov im ortsüblichen Idiom, nämlich dem Alt-Polabischen, „Eidechsenort“ bedeutete. Die Eidechsen scheinen inzwischen das Weite gesucht zu haben, aber wer weiß schon, was sich im grünen Dschungel des Stadtgrabens verbirgt? Hier erscheint es auch durchaus glaubhaft, dass die Stadtgründung einst „im sumpfigen Tal“ des Flüsschens Nebel erfolgte.
Zum Dom hinüber ist es nicht weit, die Senioren-Reisegruppe ist schon da und hat sich andächtig in den Kirchenbänken versammelt, um den Erläuterungen ihrer Führerin zu Barlachs Der Schwebende zu lauschen. Der Originalabguss der 1927 geschaffenen Bronze-Skulptur ist verloren, aber es gibt drei Nachgüsse und einen Gipsabguss. Das Gesicht des Engels ist das von Käthe Kollwitz. Dazu Barlach: „In den Engel ist mir das Gesicht von Käthe Kollwitz hineingekommen, ohne dass ich es mir vorgenommen hatte. Hätte ich sowas gewollt, wäre es mir wahrscheinlich missglückt.“ Anlässlich der 700-Jahr-Feier des Domes geschaffen, sollte er als Mahnmal für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen dienen, wurde aber schon 10 Jahre später als so genannte „entartete Kunst“ aus dem Dom entfernt und 1941 als „Metallspende des deutschen Volkes“ eingeschmolzen. Das hat Barlach aber nicht mehr erleben müssen.
Die meisten in der Stadt verbliebenen Werke finden sich indes in der Gertrudenkapelle, die nach jahrzehntelangem Verfall 1931 von der Stadt gekauft und aufwendig saniert worden war. 1933 befand man, es solle dort eine nationalsozialistische Ahnenhalle entstehen, die 1937 eingeweiht wurde, mit Hitlerbüste und Sonnenkreuz.
Nach dem Krieg war Barlachs Lebensgefährtin Marga Böhmer die treibende Kraft, die die Einrichtung einer Gedenkstätte und Ausstellungshalle vorantrieb. Nun kann man hier den Zweifler, Die Frau im Wind, die Gefesselte Hexe und weitere Holzskulpturen wie den Lesenden Klosterschüler betrachten.
Auf dem Rückweg durch die Altstadt finden sich immer wieder malerische Winkel, kleine Cafés locken, doch wir spazieren zurück zu unserem Hotel am Inselsee, wo sich abends eine beschauliche Ruhe einstellt. Dort sind wir mit Thomas zum Abendessen verabredet.