Ausflüge in eine Braunkohlefolgelandschaft (2016 und 2020)
Damals war’s …
Wer schon länger vor der Schleifung der Mauer in Westberlin wohnte, hatte wenig Kontakt mit der DDR – es sei denn, er unterzog sich der Mühe, sich einen Passierschein ausstellen zu lassen und nach Umtausch von 25 Westmark in 25 Ostmark in die Hauptstadt der DDR aufzubrechen. Dort roch es zwar ein wenig anders als im Westen – das lag an den Trabis. Die Abgasluft aus den Kaminen der Wohnhäuser aber hatte eine vergleichbare Duftnuance, und der Grund war, dass sie (Luft und Duft) in beiden Teilen der Stadt aus der Lausitz, einer im Westen nur erdkundlich Gebildeten bekannten Region, kamen.
Beginnt jetzt eine launige Kurzgeschichte? Keineswegs. Des Rätsels profane Lösung: Im Westen wie im Osten waren die Altbauten noch häufig mit Kachelöfen ausgestattet, manchmal auch mit Buderus-Allesbrennern, und die verfeuerten Heizmittel waren Briketts. Der Verfasser hat sich seine Muskelkraft lange dadurch aufgebaut, gestärkt und erhalten, dass er seine Briketts in handlichen Tragepackungen (wieviel Briketts waren da eigentlich drin?) in den vierten Stock seines Neuköllner Altbaus schleppte. Abgebaut, gepresst und verpackt aber wurden die Kohlequader in der Lausitz, und man hatte ihnen den Namen Rekord gegeben. Noch zu Beginn der achtziger Jahre gab es in Berlin massenhaft Kohlenhändler, wuchteten schwarze Gesellen ihre Tragen in die Keller oder ließen Eierbriketts gleich vom LKW hinabrutschen. Dann aber kamen der Umweltgedanke und die Grünen (oder war es umgekehrt?) in die Welt. Dem Smog wurde der Kampf angesagt, Zentralheizungen lösten die Kachelöfen ab, die Fertigpackungen Rekord-Briketts waren Geschichte.
Zeitenwechsel
Vierzig Jahre später ist die Lausitz, im Grunde die Niederlausitz, näher an Berlin gerückt. Das „Sumpfland“ – der Name kommt aus dem Slawischen und bedeutet in etwa „feuchte Wiesen“ – ist über die A 13 für Berliner in einer guten Stunde erreichbar. Die Lausitz befindet sich mitten im „Strukturwandel“. Wer heute in Großräschen unweit von Senftenberg übernachten will, kann dies im Seehotel tun. In das recht schmucke Hotel, entstanden 1922 als Ledigenwohnheim der ILSE AG, hat ein örtlicher Unternehmer in Erwartung heranflutender Wellen investiert; die Wellen sollten 2015 da sein, lassen sich aber noch etwas Zeit. Man sollte sich also nicht auf Strandspaziergänge einstellen. Vielmehr lockt ein Besuch im Dokumentationszentrum auf den IBA-Terrassen, die die Hänge des Weinberges (!) zieren und wo man sich über Projekte der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land 2000 – 2010 informieren kann. Wer ein stärker fachliches Interesse hat, der kann auch ganze Studienaufenthalte im Studierhaus der IBA in der Nähe buchen, wo es Material zu allen 30 von der IBA angestoßenen Projekten gibt. In Großräschen nun hat man es mit der Hinterlassenschaft des Tagebaus Meuro zu tun.
Devastation und Neubeginn
Der Gebrauch von Fremdwörtern dient ja gelegentlich dazu, das Publikum vor einem allzu schnellen, allzu klaren Verständnis einer Schweinerei zu bewahren. Um die Verwüstung durch den Bergbau zu benennen, hat sich der Fachbegriff „Devastation“ eingebürgert. Im Tagebau Meuro wurde bis 1999 Braunkohle gefördert. Begonnen hatte man 1958. Zahlreiche Orte wurden vollständig aufgegeben, die Häuser, Gärten, Kirchen und Friedhöfe abgeräumt, devastiert eben. Etwa 4500 Menschen wurden umgesiedelt. Die ortskundige Dame, die die Ausstellung betreut, kennt das Leiden an der Umsetzung aus der eigenen Familie, besonders die Alten wollten ihre angestammte Heimat nicht mehr verlassen, der Gram darüber habe den Tod mancher Bewohner beschleunigt. Aber die „Flächeninanspruchnahme“ des Tagebaus, 3583 Hektar, ließ keine Alternative. 1840 Kubikmeter Abraum wurden bewegt. Die drastischen Eingriffe in die Natur haben vegetationslose Kraterlandschaften hinterlassen, die neugestaltet werden müssen. Seit einiger Zeit sind Rekultivierung und Renaturierung dieser Flächen gesetzlich vorgeschrieben.
Für die Sanierung des ehemaligen Tagebaus Meuro werden erhebliche Anstrengungen unternommen. Böschungen müssen abgeflacht und gesichert werden, ehemalige, oft verseuchte Deponien werden entfernt, der Boden dekontaminiert. Verkehrswege werden gebahnt, Werksanlagen rückgebaut. Da Naturprozesse nicht politischen Terminsetzungen unterliegen, müssen wir uns in Geduld üben, um das Freizeitpotenzial der Bergbaufolgelandschaft für den Großraum Berlin, aber auch Dresden nutzen zu können.
Hochfliegende Pläne
Auf dem Rückweg vom IBA-Dokumentationszentrum entdecken wir den Winzer, der gerade seine Reben beäugt und die Bewässerung in Gang setzt. Ein freundlicher Mann, der bereitwillig Auskunft gibt. Es ist schon Wein gekeltert worden; im letzten Jahr habe der Wärmeschub im Spätherbst den Öechslegrad auf 104 hochgetrieben, da könne man nicht meckern. Die Erträge sind natürlich noch gering, aber ausbaufähig. Vorerst sind die Weine vornehmlich bei Schau-Verkostungen und Tourismusveranstaltungen zu genießen. Immerhin verfügt Großräschen über eine Steillage, vermutlich die einzige in Brandenburg. Gelernt hat der Weinbauer, Dr. Wobar, wie wir erfahren, im Saale-Unstrut-Gebiet. Kultiviert werden übrigens weiße Rebsorten (Solaris, Cabernet blanc) und eine rote Rebe (Pinotin), allesamt Neuzüchtungen, die Weißweine gibt es erst seit 1991. Das Mikroklima für den Weinbau wird sich noch verändern, wenn die Seen erst einmal ihre endgültige Gestalt erhalten haben. Über Kanäle wird der Großräschener See mit weiteren Gewässern verbunden , so dass Freizeitskipper größere Törns unternehmen können. Yachten werden im Großräschener Hafen ankern, kleinere Fahrgastschiffe den Anleger an der Seepromenade ansteuern, Surf- und Segelschulen werden eröffnen und enorme Winde werden den Optimistenjollen die Segel blähen …
Ein zweiter Blick
2020 im Rahmen einer der kleinen Coronafluchten sind wir wieder in Großräschen. Das Wasser ist mittlerweile so nah ans Seehotel, gerückt, dass dessen Name geradezu einfallslos erscheint. Eine Marina mit Stegen für viele, viele Boote ist entstanden, ebenso eine Hafenmeisterei, dahinter eine große Sporthalle, Parkplätze und im Hintergrund eine großzügige bauhausinspirierte Wohnanlage. Das Wasser ist da, aber die Schiffbarkeit ist noch nicht gegeben, auch weil die Niederschlagsmenge in den letzten beiden Jahren unter den Erwartungen lag.
Eine Seebrücke, die aus Materialien aus dem aufgegebenen Tagebau konstruiert wurde, ermöglicht den Blick ins und übers Wasser. Ein Uferweg führt zwischen See und Weinberg entlang, dessen Rebstöcke gerade heftig knospen. Blauester Himmel, strahlendste Sonne, sogar leichter Wind, aber coronabedingt nur vereinzelte Besucher, das Hotel ebenso geschlossen wie das IBA-Dokumentationszentrum. Ein Lichtblick: das Café bietet Kaffee im Becher und Kuchen zum Mitnehmen an. Und ein weiterer: es gibt den Wein vom Großräschener See! Cabernet Blanc, Steillage, Réserve und den roten Pinotin, im Eichenholz gereift und mit dem internationalen „PIWI“ Weinpreis in Gold prämiert. Dr. Wobar hat offensichtlich durchgehalten und reüssiert.
Industriekultur als Erbe
Bereits heute sind die Anstrengungen der Tourismusbehörden nicht zu übersehen. Mehr als 150 Jahre haben Bergbau und Kohleproduktion die Lausitz geprägt. Kraftwerke, Brikettfabriken, Räumgerätschaften, Arbeitersiedlungen: das alles legt Zeugnis ab von der Lebenswelt der Werktätigen
Wer das Braunkohlengebiet der Niederlausitz bereist, darf die Biotürme von Lauchhammer nicht versäumen. Ein Kenner der Architekturgeschichte hat die Anlage „Castel del Monte der Lausitz“ getauft, nach dem geheimnisumwitterten Jagdschloss des Staufers Friedrich II. in Apulien. Die aus 24 Türmen bestehende Anlage diente der biologischen Behandlung von phenolhaltigen Abwässern, die durch Hochofenschlacke geleitet wurden. Der Betrieb der Anlage wurde 2002 eingestellt. Besucher können von zwei verglasten Aussichtskanzeln aus das einstige Industriegelände überblicken.
Eine Utopie?
Die Visionäre des Tourismus sehen vor ihrem geistigen Auge schon Landeplätze für Wasserflugzeuge, Bootswerften, Ruder- und Segelregatten. Sie hoffen auf steigende Übernachtungszahlen und viele Touristen – auch aus Polen und Tschechien. Urlauber sollen einmal eine überaus vielfältige Flora und Fauna erleben. Kulturelle Angebote werden genutzt. Mit dem Theater Senftenberg gibt es sogar schon eine als „Theater des Jahres“ (2005) ausgezeichnete Spielstätte.