Rom, (Rück-)Blicke

Seit Jahrhunderten zieht es Reisende nach Rom. Wurden im Mittelalter vor allem Märtyrergräber und heilige Stätten aufgesucht, setzt im siebzehnten Jahrhundert der andauernde Bildungstourismus ein. Der heutige Besucher der Metropole wird  sicher nicht nur ein Selfie vor dem Kolosseum machen  und  eine Münze in den Trevi-Brunnen werfen wollen, er muss aus der Überfülle des Sehenswerten auswählen.

Die Vatikanischen  Museen

Bereits das U-Bahn-Fahren in Rom ist ein  Erlebnis. Da wir Eintrittskarten für die Vatikanischen Museen per Internet vorbestellt haben und um 9 Uhr vor Ort sein wollen, geraten wir in den Berufsverkehr. Arglos warten wir mit einigen anderen Menschen an der Station Bologna. Doch als sich die Türen des eingefahrenen Zuges öffnen, stehen die schon im Wagen Befindlichen so eng, dass weiterer Zustieg ausgeschlossen erscheint. Indes drängen die Werktätigen sich beherzt hinein und nach dem alten Motto „When in Rome, do as the Romans do“ tun wir es ihnen nach.

Dass die Vorbuchung der Tickets klug war, zeigt sich im heftigen Regen, der an diesem Morgen schnell für durchweichte Schuhe sorgt. Wir überholen die mehrere hundert Meter lange Schlange anstehender Gruppen und treten gleich an den Schalter, wo es die „Biglietti“  und Audioführer gibt. Während Teile der Vatikanischen Museen, z.B. die „Pinacoteca“ oder die Antikensammlung, fast menschenleer sind, schiebt sich ein breiter Strom von Kunstbeflissenen aller Herren Länder in Richtung Sixtinische Kapelle. Dass dieser sakrale Ort angemessenes Benehmen verlangt, daran erinnert die Museumsleitung vergeblich. Per Lautsprecher fordert sie  In kurzen Abständen mehrsprachig zum Schweigen auf, was sekundenlang zum Sinken des Geräuschpegels führt. Michelangelos Deckenfresken zum Thema „Die Schöpfung“ sind weltbekannt: Die auch räumlich zentrale Szene der Erschaffung des Menschen, in der sich die Zeigefinger von Gott und Adam berühren, hat sich   ̶   vielfach vermarktet  ̶  in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Vier Jahre (1508-1512) arbeitete der Künstler auf einem Gerüst liegend, um sein Werk zu vollenden. Dass er sich selbst eher als Bildhauer denn als Maler verstand, legt die Gestaltung der muskulösen Körper nahe.

Als wir im Innenhof vor der Laokoon-Gruppe stehen, der wohl großartigsten antiken Marmorstatue, die die Zeiten überdauert hat, hören wir neben uns: „Und nun stellt euch vor, dass an dieser Stelle Michelangelo die Kunst der Griechen studiert hat, stundenlang“. 1506 war die Statue auf dem Esquilin ausgegraben worden; sie stammt  aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. und wird drei Künstlern aus Rhodos zugeschrieben, die wiederum nach einem älteren Bronzeoriginal aus Pergamon arbeiteten. Dargestellt ist der Todeskampf des trojanischen Priesters Laokoon und seiner zwei Söhne. Weil sie das Volk vor dem hölzernen Pferd warnten, sandte Athene zwei riesige Schlangen, um sie zu bestrafen. Der körperliche Ausdruck des Leidens und der Schmerz auf dem Gesicht des Vaters hat seit der Renaissance Generationen von Künstlern inspiriert, nicht zuletzt in der Darstellung Christi.  Auch Lessing und Goethe beschäftigten sich mit dem Sujet. Der deutsche Archäologe  Winckelmann formulierte angesichts des Laokoon sein folgenreiches Urteil: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdruck. So wie die Tiefe des Meeres allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele. Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laokoon, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden“.

Eine Papstaudienz

Für die Generalaudienz des Papstes muss man sich bereits im Heimatland beim entsprechenden Pilgerzentrum anmelden und dann die Karten am Vortag in der Nähe der Engelsburg persönlich abholen. Auch diese Veranstaltung auf dem Petersplatz ist mit einem Bad in der Menge verbunden und hat internationalen Charakter. Als die verschiedenen Pilgergruppen begrüßt und vorgestellt werden, können wir anhand der geschwenkten Fähnchen die Slowaken ausmachen, die Argentinier besonders laut jubeln hören und die fröhlichen Asiaten neben uns als Südkoreaner identifizieren.

Begeisterung kommt auf, als Franziskus im Papamobil durch die von der Schweizer Garde gesicherten Schneisen fährt. Kinder werden hochgereckt, gebrechliche alte Damen klettern auf Plastikstühle, Fotoapparate werden hoch über den Köpfen blindlings in Richtung des sich bewegenden Gefährts ausgelöst. „It’s frustrating“, findet der Ire hinter uns, da keines seiner Fotos etwas anderes als winkende Hände zeigt. Die Menge beruhigt sich erst, als die Ansprache beginnt, in der der Papst mehrfach vom vorformulierten Text abweicht, um spontane Bemerkungen einzustreuen. In einem dieser Einschübe geht es um das „telefonino“, das Handy, das die Gläubigen doch bitte nicht während der Messe benutzen sollen. Allerdings – so Franziskus – seien selbst die Bischöfe nicht frei von diesem Laster. Die Predigt wird in ihren wesentlichen Aussagen in mehrere Sprachen übersetzt. Am schönsten klingt der weiche Singsang des Portugiesischen, am überraschendsten ist die arabische Ansprache. Nach dem Segen gehen diejenigen, die für dieses Ritual empfänglich sind, gewiss gestärkt von dannen.

Eine Kultstätte

Der Weg vom Vatikan zum Heiligtum des antiken Polytheismus, dem Pantheon, ist nicht weit. Mit ihren 43 Metern ist dessen Kuppel breiter als die des Petersdoms. Sie ist aus Mörtel geformt, der in Holzverschalungen gegossen wurde, an der Basis 6 Meter dick, mit steigender Höhe schlanker, was auch die kleiner werdenden Kassetten der Innendecke verdeutlichen. So wird das Gewicht reduziert und der Blick auf die Mittelöffnung gerichtet, die im Durchmesser neun Meter misst. Der besonderen Raumatmosphäre können wir uns nicht entziehen.

Kaiser Hadrian ließ das Pantheon 118-125 v. Chr. als Observatorium errichten. Zur Tag- und Nachtgleiche sowie an den Sonnwendtagen fiel das Licht in einem charakteristischen Winkel durch das „Auge zum Kosmos“ und strukturierte damit den Jahreslauf. Am 21. Juni, wenn der Lichtstrahl um 12 Uhr mittags den Boden vor dem Hauptportal erleuchtete, zeigte sich der Kaiser seinen Untertanen im Prunkgewand als „Sohn der Sonne“. Das Pantheon war aber auch ein allen Göttern Roms gewidmetes Heiligtum, wo, wie der Historiker Cassius Dio berichtet, u.a. Statuen des Mars, der Venus und des unter die Götter aufgenommenen Caesar aufgestellt waren.

Später (609) wurde das Gebäude in eine Kirche umgewandelt, baulich im Inneren wie Äußeren leicht verändert, aber im Wesentlichen in seiner ursprünglichen Gestalt belassen. Sein Einfluss auf die Architekturgeschichte kann gar nicht überschätzt werden. Auch der Brauch, bedeutende Persönlichkeiten eines Landes an einem Ort zu bestatten, wie z.B. im Panthéon in Paris, hat hier seinen Ursprung.

Ruhepunkte

Unser straffes Besichtigungsprogramm verlangt natürlich auch Verschnaufpausen. Während in den Bars der an der Theke getrunkene Kaffee durchweg sehr günstig ist, muss man im (seit 1760 existierenden) „Caffè  Greco“ etwas tiefer in die Tasche greifen. Illustre Gäste sind hier eingekehrt: Casanova, Berlioz, Wagner…  Auch die berühmten englischen Romantiker Shelley und Keats, die um die Ecke wohnten, schauten vorbei. Heute ist ihre damalige Unterkunft an der Spanischen Treppe ein Museum, ebenso die nicht allzu weit entfernte „Casa Goethe“.

Der Entspannung dient auch ein Spaziergang durch die grüne Lunge Roms, die ausgedehnte Parkanlage der „Villa Borghese“. Hier ist die Luft frisch, breite Wege laden zum Flanieren ein, den Wissenshungrigen erfreuen zahlreiche Büsten und kolossale Denkmäler. Und „Der römische Brunnen“ strömt und ruht noch genauso, wie ihn C.F. Meyer beschrieb: „Aufsteigt der Strahl und fallend gießt er voll der Marmorschale Rund…“.

Die „Galleria Borghese“ darf man nur als angemeldeter Besucher und in einem zweistündigen Zeitfenster betreten.  Bescheidener dimensioniert als die Vatikanischen  oder Kapitolinischen Museen hält sie nicht weniger aufregende Exponate bereit als diese, etwa Berninis „Apollo und  Daphne“ (1625), ein bewegtes und bewegendes Meisterwerk aus Marmor, das den  Moment der Metamorphose der Daphne verewigt, deren Körper sich während der Berührungen des sie verfolgenden Gottes in einen Lorbeerbaum wandelt. Die Werke des Barockkünstlers, der auch den Brunnen auf der Piazza Navona und die Fontana di Trevi gestaltet hat, sind ein Schwerpunkt der Sammlung.

Eine Oase der Ruhe in der verkehrsreichen Großstadt ist  der „Cimitero acattolico“, der Gräber von in Rom verstorbenen Nichtkatholiken beherbergt. Er versteckt sich hinter der Cestius-Pyramide, die auf dem Weg nach Ostia steht.  Im 18. Jahrhundert angelegt, zieht er heute vor allem Verehrer der schon erwähnten Dichter Keats und Shelley an. Pop-Größen wie Patti Smith und Bono erwiesen diesen erst kürzlich ihre Referenz.  Auf der Grabstele August Goethes liest man: „Goethe, der Sohn, dem Vater vorangehend, starb mit 40 Jahren, 1830“. Auch Hölderlins erster Biograph Wilhelm Waiblinger und der Architekt Gottfried Semper wurden hier beigesetzt. Am Grab Antonio Gramscis, des von den Faschisten eingekerkerten kommunistischen Theoretikers, haben sich einige jüngere Italiener eingefunden. Die große Katzenkolonie, die auf dem Friedhof heimisch ist, lässt sich von den Besuchern kaum stören.

Als uns nach einer Woche der Hochgeschwindigkeitszug von „Trenitalia“ mit 300 km/h gen Norden bringt, wird uns klar, dass ein Reisebericht mehr weglassen muss, als er beschreiben kann. Schade, dass für die reizende Praktikantin in der Villa Massimo kein Platz mehr ist!

 

 

Diese Reise haben wir im November 2017 gemacht.

 

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