Thiel wohnt in Schönschornstein und rudert jeden Tag mit dem Kahn hinüber nach Erkner, von wo aus er seinen Arbeitsplatz am Gottesbrücker Weg rechts vor der Bahnschranke erreicht. Wulkow muss mit seinem Schiff mehrere Tage an der Woltersdorfer Schleuse anlegen, weil ihn das Eis dort zurückhält. Henriette Jahn fährt am Totensonntag nach Rüdersdorf, um auf den Gräbern ihrer Eltern Lichter anzuzünden. Was diese drei Personen miteinander zu tun haben? Es sind Figuren aus dem Werk Gerhart Hauptmanns: aus „Bahnwärter Thiel“, „Der Biberpelz“ und „Die Ratten“.
Wir haben uns nach Erkner aufgemacht, wo wir der Villa Lassen einen Besuch abstatten. Es ist ein trüber Tag, das Haus wirkt geschlossen. Doch auf unser Klingeln wird geöffnet und kurz darauf stellen sich noch weitere Interessenten ein: ein Schüler, der eine Führung für seinen Oberstufenkurs organisieren will und zwei Kulturtouristinnen. Die gesamte Ausstellung ist im Jahr 2007 neu konzipiert worden, nun ist sie weniger textlastig, weniger überladen, besucherfreundlicher. Im Anbau, den man durchschreitet, bevor man die eigentliche Villa betritt, ist Hauptmanns Leben in drei Abschnitten dokumentiert: Kindheit und Jugend, Leben in Erkner, Dichter und Repräsentant. Schon im Foyer lassen Zitate von Zeitgenossen über Person und Werk des Autors durchblicken, dass uns hier eine Persönlichkeit vorgestellt wird, die auch zu Kritik und Widerspruch gereizt hat.
Der Repräsentant
Dass Gerhart Hauptmann ein “Repräsentationsmensch” war, zeigt sich schon in der Wahl seiner Wohnung im Untergeschoss der Villa Lassen. Für die Arbeit stand ihm hier, wie später in zwei anderen Wohnsitzen, Agnetendorf und Hiddensee, ein sehr geräumiges und lichtdurchflutetes Arbeitszimmer mit einem gigantischen Schreibtisch zur Verfügung.
Hauptmann hat mit seiner Frau von 1885 bis 1889 in Erkner gelebt, drei Söhne wurden hier geboren. Wegen einer Lungenkrankheit hatten ihm Ärzte geraten, die Wohnung in Berlin-Moabit aufzugeben und aufs Land zu ziehen. Hier praktizierte er die von ihm selbst so genannten „Produktivspaziergänge“ und sammelte Anregungen für seine ersten Novellen und Dramen.
Der Schriftsteller ist früh so bedeutend geworden, dass man ihm 1912 den Nobelpreis für sein dramatisches Schaffen verlieh. Als Naturalist war er in konservativen Kreisen umstritten, der Kaiser mochte ihn gar nicht. Das „Festspiel in deutschen Reimen“ für die 100-Jahr-Feier der Befreiungskriege wurde in Breslau abgesetzt, weil es entgegen dem grassierenden (und kaiserlich geschätzten) Hurrapatriotismus pazifistische Akzente setzte. Und „Die Weber” waren ja dezidiert sozialkritisch gewesen. Aber da Hauptmann doch eher Repräsentant als Märtyrer war, bequemte er sich immer der politischen Macht an, ohne sich völlig zu kompromittieren. So schloss er sich im Ersten Weltkrieg den Kriegsbefürwortern an, unterstützte gegen Kriegsende aber bereits die anti-monarchistischen Kräfte. In der Weimarer Republik wurde ihm angeblich die Reichskanzlerschaft angeboten, er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, mehrere Ehrenbürgerschaften, im Jahr 1932 die Ehrendoktorwürde (die dritte nach Oxford und Leipzig) der Columbia University und den Goethepreis der Stadt Frankfurt.
Die Haltung zu den ab 1933 Herrschenden war von Loyalität geprägt, stieß bei den Machthabern aber eher auf Ablehnung, da sie Hauptmanns Kunstanschauungen wohl nicht goutierten. Seine letzten Lebenstage verbrachte dieser im heimatlichen Agnetendorf im Riesengebirge. Er war schon todkrank, als ihm ihm von polnischer Seite eröffnet wurde, er müsse nun nach Deutschland übersiedeln. „Bin ich noch in meinem Haus?“, sollen seine letzten Worte gewesen sein. Einen Monat nach seinem Tod wurden die sterblichen Überreste freigegeben und in einem Zinksarg nach Deutschland überführt. Noch die Trauerfeier war ein repräsentatives Ereignis: Wilhelm Pieck, Johannes R. Becher und der sowjetische Kulturoffizier Tjulpanow sprachen auf der Trauerfeier in Stralsund. Am Morgen des 28. Juli 1945 wurde Gerhart Hauptmann auf dem Inselfriedhof in Kloster auf Hiddensee bestattet. Ins Grab wurde auch ein Säckchen mit Ostseesand gesenkt, der mit Riesengebirgserde vermischt war. Ob märkische Erde auch dabei war, ist nicht überliefert.
Draußen und drinnen
Wir hören, dass das Museum regelmäßig Spaziergänge und auch Radtouren zu den Schauplätzen der von Erkner inspirierten literarischen Werke anbietet. Im Veranstaltungssaal finden zudem regelmäßig Lesungen und Vorträge statt.
Wieder an der frischen Luft, stellt sich die Lust auf einen Spaziergang ein. Wer gut zu Fuß ist, dem empfiehlt sich eine Wanderung nach Woltersdorf, immer am idyllischen Flakensee entlang, bis zur Liebesquelle, die freilich nur noch tröpfelt. Schade! Nach steilem Anstieg wartet oben auf dem Kranichberg eine weitere Überraschung. Vom hölzernen Aussichtsturm aus kann man nicht nur weit ins Land schauen, sondern auch die kleine Ausstellung „Als Woltersdorf noch Hollywood war“ betrachten. Hier wurden nämlich in den Zwanziger Jahren mehr als 50 Filme gedreht, darunter so erfolgreiche wie „Die Herrin der Welt“ und „Das indische Grabmal“. Die exotische Märchenwelt mit Palästen und Tempeln war seinerzeit nicht nur auf dem Studiogelände in Berlin-Johannisthal nachgebaut worden, für die Außenaufnahmen hatte man entsprechende Kulissen auch in den Woltersdorfer Wald verpflanzt. Reste davon sind noch zu bestaunen.
Der Turm selbst, 1885 als „Kronprinz-Friedrich-Wilhelm-Turm“ erbaut, war 1945 vom Volkssturm angezündet worden und wurde erst 1961 neu errichtet. In der DDR als Sendeturm verwendet, ist er seit 1990 wieder der Öffentlichkeit zugänglich.
Geschichte auf Schritt und Tritt, große Literatur, Stars von gestern und vielleicht doch ein paar Tropfen des Liebestranks?