Mehr als nur Lyoner

Ausschnitt aus „La Fresque des Lyonnais“

Wer in Frankreich eine Metzgerei betritt, kann nicht verdrängen, dass hier tote Tiere feilgeboten werden. Es ist nicht zuletzt ein Beweis seiner Echtheit, dass das Bresse-Huhn mit Kopf und Füßen in die Auslage drapiert wird. Der entbeinte Schweinekopf allerdings ist erst auf den zweiten Blick als solcher zu erkennen und wird vielleicht einmal in säuerlichem Aspik als Sülze verzehrt werden. Nach dem Besuch der Markthalle Paul Bocuse wird man entweder zum Vegetarier oder man ist zu allem bereit.

Auf zum Bahnhof Perrache, neben dem sich das legendäre, 1846 gegründete Lokal Brasserie Georges befindet. Von dem Elsässer Hoffherr gegründet, braut sie nach wie vor ihr eigenes Bier, das wie überall in Frankreich mit den Begriffen bezeichnet wird, die man für Haarfarben verwendet: une blonde, une brune. Hier haben schon Jules Verne und Emile Zola gegessen, Ernest Hemingway, Edith Piaf, Jacques Brel und andere Berühmtheiten. Platz soll es für 500 Gäste geben und trotzdem wird empfohlen zu reservieren. Aber wir kamen an diesem Novembermittwoch spät und wurden umstandslos zu einem Tisch geführt. Großen Raum nimmt auf der Speisekarte das Sauerkraut in verschiedenen Variationen ein, auch für Austern und Meeresfrüchte ist das Lokal berühmt.

Wir versuchten Kalbskopf (Tête de veau), der wie Rollbraten zusammengebunden, dann gekocht und in Scheiben geschnitten wird. Bei der Bestellung von Steak Tatare warnt der Kellner: „Madame, c’est de la viande crue!“, aber das wussten wir schon, dass es sich hierbei um rohes Fleisch handelt. Die Zeremonie, mit der dasselbe am Tisch mit Eigelb, Zwiebelwürfeln, Anchovis, Essig u.a. vermengt, dann liebevoll zu einem runden Plätzchen geformt und auf dem Teller platziert wird, hätte man filmen müssen.

Lyon nennt sich nach dem entsprechenden Lob eines Restaurantkritikers schon seit 1935 Welthauptstadt der Gastronomie. Aber einen guten Ruf hatte schon das antike Lugdunum, das das Monopol des Weinhandels besaß und mit Septimanus einen begnadeten Küchenchef aufzuweisen hatte. So blieb es dann auch bis in die jüngere Zeit, als Paul Bocuse (1926-2018) mit seiner Nouvelle Cuisine die Kochstandards revolutionierte. Er kreierte eine leichtere als die klassische Küche mit ihren Buttersaucen und legte viel Wert auf die Präsentation der Speisen. Lyon ehrt den Meister nicht nur an Hauswänden.

Weit entfernt von der Sterneküche bieten die zahlreichen Bistros und ortstypischen Bouchons ein rustikales Angebot: Andouillette (Kuttelwurst), Quenelles (eine Art Knödel), Cervelle des Canuts (wörtlich: Gehirn der Seidenweber, eine Frischkäsezubereitung), Saucisson brioché (Wurst im Teigmantel) und vieles mehr.

Manchmal reicht es dann aber auch mit der Völlerei und am Abend genügt ein kleines Picknick auf dem Hotelzimmer: Brot, Käse, Wein. Aber ein Crozes-Hermitage muss es dann schon sein!

 

2 Gedanken zu „Mehr als nur Lyoner

  1. Spannende Schlemmerei in Lyon! Trotz des Bresse-Huhns (sehr anschauliches Foto) seid ihr also zu allem bereit. Wie mundete der wie Rollbraten zusammengebundene Kalbskopf? Rohes Fleisch mit Eigelb war vorher eingelegt? Und wer das Gehirn der Seidenweber mit Frischkäse vergleicht, hat wohl keine gute Meinung von ihnen. Ich muss nun noch über den antiken Koch Septimanus recherchieren.

    • Na ja, der Kalbskopf war kein besonderes Genusserlebnis. Aber ich plädiere ja immer für „from nose to tail“, also: wenn schon tote Tiere essen, dann alles und nicht nur Filetstücke (den Rest ins Hundefutter oder in undefinierbare Würstchen?). Meine Favoriten sind allerdings Innereien: Kalbsbries, Saures Lüngerl, Nierchen. Das Tatar war pur und roh, frisch durchgedrehtes („gewolftes“)Fleisch. B. schwärmt noch heute davon, wie einmal in Mulhouse eine sehr attraktive junge Dame vor unseren Augen ein Steak mit einem gewaltigen Küchenmesser kleinhackte. Da war wohl der Fleischwolf gerade defekt.

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