Der Blitzzug
Quer durch Europa von Westen nach Osten rüttert und rattert die Bahnmelodie.
(Detlev von Liliencron, 1903)
Die Fahrgeräusche der Blitzzüge unserer Zeit sind erstaunlich gedämpft, das Tempo der Sprinter von Berlin nach München erreicht gelegentlich 300 km/Std.! Kaum haben wir Berlin verlassen, sind wir in Halle, im Nu in Erfurt und eine Stunde später stehen wir, nachdem uns der ICE ausgespuckt hat, in der Lorenzkirche in Nürnberg. Entschleunigt wurde unsere Fahrt nur durch eine Umleitung wegen eines „Notfalleinsatzes am Gleis“, ein Euphemismus für „Suizid“; einmal war der „Zugchef“ zu Klartext aufgelegt und verstörte die Fahrgäste mit der Durchsage „Leichenfund auf der Strecke“.
Die Älteren und die noch etwas Älteren werden sich an Zeiten erinnern, da Lokomotiven sich funkensprühend in Bahnhöfe hineinbremsten, Lokomotiven und keine Triebköpfe. Schaffner gab es und keine Zugbegleiter, Fahrkartenschalter und keine DB Reisezentren; meine Großmutter stieg noch am Perron ein und aus. Aus dem Bahnhof gewunken wurde Zurückbleibende, die zuvor für 10 Pfennig eine Bahnsteigkarte gelöst hatten, ein Berechtigungsnachweis übrigens, von dem Lenin behauptete, Deutsche würden ihn erwerben, beabsichtigten sie, am Gleis zu revoluzzen. Tempi passati!
Schon Goethe sah zu Beginn des 19. Jhdt. ein veloziferisches Zeitalter voraus, Eichendorff riet 1845 im Novellenfragment „Tröst-Einsamkeit“ bereits zur Entschleunigung. Er sei „auf der Eisenbahn vom anderen Ende Deutschlands mit einer Vehemenz dahergefahren, als käme es bei Lebensstrafe darauf an, dem Reisen auf das allerschleunigste ein Ende zu machen, die Dampffahrten rütteln die Welt, die eigentlich nur noch aus Bahnhöfen besteht, unermüdlich durcheinander wie ein Kaleidoskop.“