Butterfly ist nicht die Frau, die sich verliebt, von einem gewissenlosen Amerikaner geschwängert und verlassen wird, die später das Kind abgeben muss und sich vor Kummer umbringt. Diese Geschichte enthält zu viele Projektionen sentimentaler Europäer, die um romantische Liebe, Sehnsucht und Enttäuschung kreisen.
Klar ist, dass sie und Pinkerton sich nicht einfach zufällig irgendwo treffen, sondern dass sie diesem durch einen Heiratsvermittler zugeführt wird. So ziemlich als erstes wird sie gefragt, wie alt sie denn sei. Sie gibt die Frage zurück an die weißen Herren. Pinkertons Freund, Konsul Sharpless, schätzt sie auf 10 (!!!), geht dann auf 20. Nein, sie sei 15: „Ich bin schon alt.“ So steht es im Libretto.
Die so genannte Ehe, die dann geschlossen wird, ist eher ein Konkubinen-Zeitvertrag. Beide Seiten wissen, worauf sie sich einlassen. Der Amerikaner bekommt für die Dauer seines Aufenthalts in Japan die erotisch reizvolle Kindfrau, diese ist über einen gewissen Zeitraum finanziell abgesichert und kann hoffen, in die USA mitgenommen zu werden. Vorsorglich tritt sie schon einmal zum Protestantismus über.
Cio-Cio San (Madame Butterfly) ist der Künstlername einer Geisha, die dazu ausgebildet wurde, Männer zu unterhalten und die bereit ist, deren Erwartungen, auch was das Alter betrifft, flexibel entgegenzukommen.
So desillusioniert sitzt man nun nach der Lektüre des Programmhefts hoch oben auf der Galerie der Wiener Staatsoper und wartet, dass der Vorhang sich hebt. Philippe Jordan, der neue Generalmusikdirektor, begibt sich zum Pult. Und die Musik entfaltet ihren eigenen Zauber. Die Bühne beeindruckt mit starken Farben und zeittypischen Kostümen, Lampions und verschiebbaren Wänden. Carolyn Choa, die Witwe des Hollywood-Regisseurs Anthony Minghelle hat dessen Londoner Inszenierung von 2008 adaptiert und aufgefrischt. Asmik Grigorian spielt ihre Rolle mit größter körperlicher Beherrschung; sie ist ganz Demut und Unterwerfung, senkt den Kopf, sitzt auf Knien, faltet die Hände. Aber ihre Stimme entfaltet eine ungeheure Kraft und Emotionalität. Und natürlich fließen bei „Un bel dí vedremo“ die Tränen. So muss es sein.
Grigorian hat in diesem Jahr schon eine Covid 19-Erkrankung überstanden. „Zuerst dachten wir, es sei eine Allergie, dann kam der positive Test. Ich habe mich extrem schwach gefühlt und konnte weder riechen noch schmecken. Aber ich habe mich zum Glück wieder vollständig erholt.“ In der Matinee am Vortag hat sie erzählt, dass die Butterfly für sie immer eine ganz besondere Rolle ist. Ihre Mutter, die litauische Sängerin Irena Milkevičiūtė habe die Rolle gesungen, als sie mit ihr schwanger war, ihr Vater, der armenische Tenor Gegam Grigorian, habe oftmals den Pinkerton verkörpert und sie selbst habe mehrfach das Kind gespielt.
In dieser Inszenierung war das Kind eine Puppe, die von zwei schwarz gekleideten, fast unsichtbaren Spielern bewegt wurde. „Man kann auf der Bühne keinen Dreijährigen kontrollieren“, hatte die Regisseurin zur Erklärung gesagt. Und das Wunder fand statt. Diese blonde, in einen Matrosenanzug gekleidete Puppe berührte über ihre Gesten und ihre Körperhaltung das Gemüt.
Cio-Cio San weiß, dass ihr Sohn in den USA bessere Chancen haben wird als in Japan. Natürlich schmerzt der Verlust des eigenen Kindes, aber es ist eine vernünftige Entscheidung, ihn wegzugeben. Nun hat sie nur noch zwei Optionen. Die Heirat mit einem alten, hässlichen Mann, der schon zahlreiche Ehefrauen „abserviert“ hat, lehnt sie ab. Bleibt die Prostitution. Unter diesen Umständen wählt sie den Selbstmord. Ja, sie ist zu bedauern.