Weihnachtsmärkte können einen fertigmachen. Die einen sind eine Kirmes (der Berliner sagt dazu treffend Rummel) mit Fahrgeschäften, Losverkauf und Schlagerberieselung, die anderen bieten nur Fressbuden mit Glühweinausschank und „Jingle-Bells“-Dauerschleife. Wäre ein Kunsthandwerker-Markt die Alternative? Gefilztes, Gestricktes, Getöpfertes? Bitte, wem’s gefällt bzw. wer noch ein Geschenk braucht… Aber was hat das mit Weihnachten zu tun? Ach ja, es gibt Strohsterne zu kaufen.
Eine Kurzreise nach Görlitz lohnt sich eigentlich immer und – jahreszeitlich bedingt – findet man dort aktuell auch einen „Christkindelmarkt“ vor, tagsüber eine nicht sehr animierende Ansammlung von verbarrikadierten Holzhäuschen, aber mit anbrechender Dunkelheit werden die Herrnhuter Sterne und der Weihnachtsbaum erleuchtet und aus den Lautsprechern ertönt tatsächlich „Es ist ein Ros‘ entsprungen“. Beim Umherschlendern auf dem Untermarkt entdeckt man dann Pulsnitzer Lebkuchen, Bunzlauer Keramik, ukrainisches Handwerk, eine Krippe mit menschengroßen Holzfiguren und lebenden Schafen, die auf Heu lagern und gemütlich vor sich hin mümmeln. Keine Sammelbüchse für notleidende Tiere in Sicht! Eine besondere Attraktion ist die Aktion „17 Tage – 17 Gerichte“: Freiwillige aus Vereinen und Verbänden bieten hier jeden Tag Selbstgekochtes und Selbstgebackenes an; der Erlös ist für soziale Projekte bestimmt. Auch eislaufen kann man. Um 18 Uhr dann als Highlight des Tages: das Bläserquintett „Dr. Blech“ aus dem nahe gelegenen Niesky. Es erschallen „Adeste fideles“, „White Christmas“ und „Alle Jahre wieder“. Leider haben wir den Auftritt des Christkindes verpasst, da wir um vier noch im Schlesischen Museum waren.
Vieles ist zweisprachig in Görlitz, denn nach einigen Schritten über die Neißebrücke ist man schon in Zgorzelec und die Besucherströme fließen in beide Richtungen. Doch während die Deutschen für den Erwerb ihrer Zigaretten, den Besuch beim Friseur und das Volltanken nicht einmal „Guten Tag“ oder „danke“ auf Polnisch vorbringen, hört man in Görlitz allerorten ein singendes Deutsch mit polnischem Akzent. Der Weihnachtsmarkt gehört nicht zur polnischen Tradition, denn die Adventszeit ist für Katholiken bis zum großen Nachtessen am 24. Dezember Fastenzeit (kein Fleisch!). Am Heiligabend sollen allerdings 12 Gerichte auf den Tisch kommen, darunter Rote-Beete-Suppe, Karpfen, Sauerkraut mit getrockneten Pilzen, Pierogi und weitere fleischlose Köstlichkeiten.
Görlitz liegt in Schlesien, das seine Ausdehnung und politische Zugehörigkeit in den Jahrhunderten mehrfach wechseln musste. Im schon erwähnten Schlesischen Museum, das im sorgfältig restaurierten Schönhof, dem ältesten Renaissance-Bauwerk der Stadt, untergebracht ist, wird diese Geschichte in Texten und Objekten erzählt. Uns interessierte bei diesem Besuch vor allem die kleine Sonderausstellung „Avantgarde in Breslau 1919-1933“. Deren Mittelpunkt war die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe. Hier wirkten als Lehrer Oskar Moll, ein mit Matisse bekannter und von ihm beeinflusster Neoimpressionist, und der charismatische Expressionist Otto Mueller. Auch die rege Bautätigkeit in den zwanziger Jahren wird in der Ausstellung thematisiert. Im modernen, funktionalistisch inspirierten Stil entstanden Mietwohnungen, Sportstätten, Verwaltungsgebäude und weiteres, zum Beispiel das Ledigenwohnheim der Werkbundsiedlung von Hans Scharoun. Eindrucksvoll ist die Diaschau über die damals aufstrebenden jungen Architekten, deren Bauwerke weitgehend (oft rekonstruiert) noch heute zu sehen sind: das Warenhaus Wertheim, das Hochhaus der Stadtsparkasse am Ring, das Postscheckamt der Deutschen Reichspost oder das Sportstadion Schlesierkampfbahn.
Schon Anfang der dreißiger Jahre sehen sich die Modernisten Breslaus zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt, erstarkende rechtsradikale Kreise beschimpfen ihre Arbeit als „ostisch-bolschewistisch-jüdische“ Kunst. Die Machtübernahme der Nazis besiegelt das Ende der Moderne in Breslau.