Weltkultur und Schokolade – Sizilien von West nach Ost

Selinunt

Wer Siziliens Südküste und das Landesinnere erkunden will, tut dies am bequemsten
mit einem Mietwagen. Unser Fiat Panda, klein, schwarz und wendig, brachte uns
zuverlässig von Palermo nach Catania. Erste Station war Agrigent.

Alte Steine

Die ersten griechischen Kolonien auf Sizilien entstanden im 8. Jh. v. Chr., als Menschen, die vor Hunger und Bürgerkriegen flohen, hier eine neue Heimat fanden. Mit zunehmendem Wohlstand errichteten sie im Zentrum ihrer Ansiedlungen Kultstätten für die Götter. Selinunt ist eine der gut erhaltenen Tempelstädte, übertroffen wird sie allerdings durch Agrigent, das antike Akragas, das Pindar im 6. Jh v. Chr. als „Glanz liebende, schönste der sterblichen Städte“ rühmte. Von der auf
einem Felsenvorsprung gelegenen Neustadt streift der Blick über sanfte Hügel
hinab ins Tal der Tempel; besonders bei Nacht, wenn die Ruinen angestrahlt
werden, ein atemberaubendes Bild. Glücklich, wer hier ein Zimmer mit Aussicht findet!

Der besterhaltene Tempel Siziliens, wegen einer in seiner Nähe gefundenen Tonscherbe mit entsprechender Aufschrift als Concordiatempel bezeichnet, stammt aus dem Jahr 425 v. Chr.; die Benennung der Relikte nach Athene, Demeter, Hera, Zeus u. a. ist willkürlich, weil man eigentlich nicht rekonstruieren kann, welche Götter in den einzelnen Kultstätten verehrt wurden. Kunsthistoriker bewundern die perfekten Dimensionen des dorischen Ringhallentempels. Dass Ruinen etwas Erhaltenswertes sein könnten und als Weltkulturerbe besonderen Schutz verdienen, war ein Gedanke, der den Nachfolgern der Griechen jahrhundertelang nicht gekommen ist. Sie waren Steinbrüche für Neubauten und nur Abgeschiedenheit oder Unzugänglichkeit rettete einiges für die Nachgeborenen, bis im 18. Jh. Bildungsreisende wie Goethe auftauchten, die Stätten bekannt machten und zahlreiche Nachahmer fanden.

Dichterspuren (I)                                                            
                                                                                                                                                  
Gleich hinter dem Valle dei templi stoßen wir auf ein kleines Dichterhaus, von
dessen Existenz wir erst in Agrigent erfahren haben. Im Ort Caos, Chaos also, steht
die Casa Pirandello, das Geburtshaus Luigi Pirandellos, heute ein
Museum. Zu sehen sind sein Arbeitszimmer, verschiedene Ausgaben seiner Werke,
Fotografien und die Gartenanlagen, in denen seine Asche bestattet wurde. Luigi
Pirandello (1867–1936) machte Furore mit seinem Stück „Sechs Personen suchen
einen Autor“, er schrieb viele Erzählungen, von denen einige verfilmt wurden
und die heute noch Schulstoff in Italien sind. Er war Deutschland sehr
verbunden, lebte vier Jahre dort, studierte und promovierte an der Universität
Bonn über den Dialekt seiner Heimatregion. Zudem war er Übersetzer und übertrug
Goethes Römische Elegien ins Italienische. 1934 erhielt er den
Literaturnobelpreis und gilt als einer der bedeutendsten Dramatiker und Erzähler
Italiens im 20. Jh. Da unser Besuch auf den ersten Sonntag des Monats fällt,
ist der Eintritt frei. Erfreulicherweise gilt das auch für die berühmte Villa
Romana del Casale
, die wir erstnach einigen Irrfahrten gefunden
haben.

Bunte Steine

Nach den Punischen Kriegen wurde Sizilien im 3. Jh v. Chr. römisch und blieb es bis
zur Spätantike. Dass die Villa eines reichen Römers heute ebenfalls zum
Weltkulturerbe zählt, ist einer kleinen Katastrophe zu verdanken. Ein Erdrutsch
im 12. Jh., der Dächer und Wände teilweise einstürzen ließ, deckte die
wundervollen Mosaikböden ab und erhielt sie so für die Nachwelt.

Die Ausgrabungsgeschichte der Villa, die um 325 n. Chr. erbaut wurde, erstreckt sich über mehrere Jahrhunderte; vollständig freigelegt und konserviert wurde sie erst nach 1950. Über den Besitzer des Anwesens, das abgelegen in bewaldeten Hügeln liegt, streiten sich die Archäologen noch heute, vermutlich liebte er die Jagd und war den Reizen des weiblichen Geschlechts nicht abgeneigt. Für ersteres spricht die große Anzahl von Jagdszenen, von byzantinischen Mosaiklegern meisterlich gefertigt: heimische Hirsche und Wildschweine werden erlegt, aber auch in Afrika Leoparden, Elefanten und Nashörner gefangen, die wohl der Volksbelustigung in den römischen Arenen dienen sollen. Kinder ahmen die Erwachsenen nach, wenn auch ungeschickt: der eine Knabe wird von einem Hahn in die Flucht geschlagen, der andere von einer Ratte ins Bein gebissen. Die weltberühmten Bikinimädchen illustrieren die Sportkleidung vergangener Zeiten, durchaus den knappen Zweiteilern unserer Beach-Volleyballerinnen ebenbürtig; sie sind als selbstbewusste Frauen dargestellt, die für ihre athletischen Leistungen ausgezeichnet werden.

In seinem Schlafzimmer brachte sich der Hausherr wohl mit einem erotischen Bildprogramm in Stimmung.

Im nahe gelegenen Städtchen Piazza Armerina machen wir uns auf Empfehlung unseres Vermieters auf die Suche nach dem Restaurant Il Goloso (Der Gefräßige),
als wir auf der Straße von einem älteren Herrn angesprochen werden. Es ist
Mario Albanese, ein pensionierter Lehrer, den in seiner Jugend die Sammelwut
erfasst hat. In der ehemaligen Wohnung eines einfachen Landarbeiters hat er in
Privatinitiative ein kleines Museum des bäuerlichen Lebens eingerichtet. Er hat
in Grenoble sein Französisch perfektioniert und spricht auf eine altmodische
Art in wohlgesetzten druckreifen Sätzen. Erfreut hört er, dass er eine Kollegin
vor sich hat, so funktioniert beim Ausstellungsbesuch die Kommunikation
reibungslos. Auch Herrn Albaneses Schimpftiraden auf die Stadtverwaltung, die
ihm das Leben schwermacht, können wir nachvollziehen.

Dichterspuren
(II)

Unsere Reisebekanntschaft aus dem Zug München – Bologna, Vincenzo aus Bari mit seinem Hund Darwin, hatte uns den Ort Modica ans Herz gelegt, den müssten wir
unbedingt besuchen, warum, das würden wir schon herausfinden. Des Rätsels
Lösung ist die dort hergestellte Schokolade, die nach einem traditionellen
Rezept „a freddo“, also nur bis 40 Grad erwärmt, hergestellt wird. Wie das
alles genau abläuft, lässt sich nachlesen. Jedenfalls ist das Ergebnis eine
etwas körnige Schokolade mit kleinen Luftblasen, sie krümelt beim Zerbrechen
und entfaltet im Mund ein ungewohnt starkes Kakao-Aroma.  

In Modica erwartet uns eine weitere Dichterbehausung, jene von Salvatore Quasimodo (1901 – 1968). Quasimodo ist vornehmlich als Lyriker hervorgetreten. Er gilt als hermetischer Poet, dessen Gedichte sich gegen das leichte Verstehen sperren. Trotzdem war schon sein erster Gedichtband Acque e Terre ein Erfolg. Seine klangvollen, ungereimten Verse haben seine sizilianische Heimat und deren Traditionen zum Gegenstand. Er war Mitglied der KPI und schloss sich dem Widerstand gegen Mussolini an. Auch Quasimodo erhielt den Nobelpreis für Literatur, und zwar 1959.

Modica teilt das Schicksal von Ragusa und Noto, Städte, die 1693 durch ein
verheerendes Erdbeben, das 60 000 Todesopfer forderte, zerstört wurden. Als
geschlossene Ensembles im Barocksstil der Zeit wiederaufgebaut, sind sie heute
alle drei Unesco-Weltkulturerbe. Bevor wir den robusten Panda in Catania wieder
abgeben, bleiben wir noch drei Tage in Siracusa. Hier kommt fast alles
zusammen: der älteste griechische Tempel der Insel, eine römische Arena für
Gladiatorenkämpfe, ein Kastell des Hohenstaufers Friedrich II., barocke Palazzi
und Kirchen und das Grab des Dichters August Graf von Platen.      

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