Tücher mit Bedeutung

Das Zittauer Fastentuch hat eine lange und wechselvolle Geschichte. 1472 wurde es von einem unbekannten Meister (eine Meisterin wäre in diesem Falle extrem unwahrscheinlich) und vermutlich auch einigen Helfern geschaffen. Gestiftet, d.h. finanziert hat es ein Gewürz- und Getreidehändler. Die 6,80 m breite und 8,20m hohe Leinwand ist eine illustrierte Bibel: Sie erzählt in 90 Bildern die biblische Geschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Gericht. In Deutschland ist es das einzige seiner Art. In der Fastenzeit, also von Aschermittwoch bis Ostersonntag, dienten solche Tücher zur Verhüllung des Altars, in diesem Falle zum Abschluss des gesamten Altarraumes. So sollten die Gläubigen nicht nur körperlich auf etwas verzichten, sondern sozusagen auch visuell hungern und der gesamten Liturgie nur hörend folgen. Im Volksmund hießen solche Tücher manchmal auch „Schmachtlappen“.

200 Jahre lang tat das Zittauer Tuch Dienst in der Hauptkirche St. Johannis. Dann verlor man wohl das Interesse an den alten Bräuchen, rollte es zusammen und deponierte es irgendwo. Fast 200 weitere Jahre schlummerte es so vor sich hin, bis es zufällig 1840 in der Zittauer Ratsbibliothek hinter einem Regal gefunden wurde. Dort hatte es auch einen verheerenden Stadtbrand unbeschadet überstanden. Man verbrachte es zunächst nach Dresden, doch die Möglichkeit einer Präsentation in den dortigen Museen ergab sich wegen der Größe des Objekts nicht. Also zurück nach Zittau!

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges sollte das wertvolle Stücke auf dem Oybin, dem markanten Felsen mit der Klosterruine, vor der Zerstörung bewahrt werden. Die sowjetischen Soldaten, die es dort 1945 vorfanden, zerschnitten es in mehrere Teile und benutzten diese als Vorhänge für eine selbstgebaute Waldsauna. Dass die heiße und feuchte Luft dem Gewebe nicht gerade guttat, lässt sich denken. Nach dem Abzug der Truppe blieben die Stücke im Wald liegen. Erst Jahrzehnte später, also nach weiterer Beschädigung und Verrottung, wurden sie dort gefunden und erstmal im Museumsdepot versteckt. Während der Dauer der DDR wurde der ganze Vorfall eisern beschwiegen, denn es durfte nicht sein, dass ein derartiger Kulturfrevel den sowjetischen Brüdern angelastet wurde.

Doch die Wende brachte auch in diesem Fall ein Aufatmen. Das arg lädierte Fastentuch wurde wegen seiner europäischen Bedeutung von der Schweizer Abegg-Stiftung, die auf textile Restauration spezialisiert ist, unentgeltlich bearbeitet. In Zittau baute man in die entweihte  Kirche zum Heiligen Kreuz die größte Museumsvitrine der Welt und dort hängt es nun, aus konservatorischen Gründen spärlich beleuchtet, und erzählt den Besuchern seine Geschichten. Die ganze Vorgeschichte erfährt man in einem anschaulich und informativ gestalteten Film, weitere Einzelheiten, auch über die Besonderheit der Kirche (Einstützenraum) und den umgebenden Friedhof, erzählt die freundliche Museumsführerin. Die Frage nach den auffälligen blühenden Stauden auf dem Kirchhof kann ihre Kollegin aus dem Museumsshop beantworten; es ist das Salomonssiegel.

Ein anderes Tuch mit noch größerer überregionaler Bedeutung ist das so genannte Turiner Grabtuch, italienisch La Sacra Sindone. Es wird in einer Seitenkapelle der Kathedrale San Giovanni Battista aufbewahrt und nur selten aus seinem feuersicheren Kasten geholt und der Öffentlichkeit präsentiert; eine Kopie der 4,36 langen und 1,10 m breiten Leinwand ist jedoch im Museum zu bestaunen. Der Stoff zeigt das Abbild eines 1,80 m großen bärtigen Mannes, der Verletzungen erlitten hat, und wird als das Grabtuch verehrt, in dem Jesus von Nazareth nach der Kreuzigung bestattet wurde.

Der Streit um die Echtheit des Tuches dauert seit Jahrhunderten an. Wissenschaftler unterschiedlicher Institute sind mit modernsten Analysetechniken zu der Einschätzung gekommen, dass es zwischen 1260 und 1390 n.Chr. entstanden sein muss. Die  Auseinandersetzung geht jedoch weiter, denn die Verfechter der Jesus-Hypothese haben auch einige Argumente vorzubringen, denen wir uns hier im Detail nicht widmen wollen.

Die Katholische Kirche fördert zwar die Verehrung des Grabtuchs (zahlreiche Päpste haben ihm ihre Aufwartung gemacht), betrachtet es aber nicht als Reliquie, sondern als Ikone, also als Abbild, was impliziert, das es auch von Menschenhand hergestellt worden sein könnte. Die Volksfrömmigkeit lässt sich von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sowieso nicht beeindrucken.

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Ein weiteres Tuch von Bedeutung ist das Volto Santo (Heilige Gesicht) von Manoppello, angeblich das „Schweßtuch der Veronika“, das das Antlitz Jesu‘ abbilden soll und in der kleinen Ortschaft in den Abruzzen als Reliquie verehrt wird. In akribischer Kleinarbeit hat der Historiker Karlheinz Dietz nachgewiesen, dass es sich hierbei um ein Aquarell Albrecht Dürers handelt. Unglaublich, aber wahr! Dietz führt aus, „dass Dürer seine Zunftgenossen südlich der Alpen lediglich mit einem Wasserfarbenbild beeindrucken konnte, das in einer im damaligen Italien so gut wie unbekannten Aquarelltechnik und zudem auf fast transparentem, feinmaschigem Leinen gemalt war“. Beweise? Dietz hat das Volto Santo über Dürers Selbstporträt von 1500 gelegt (jeweils als digitales Bild) und siehe da: das passt recht gut aufeinander, auch wenn es sich dem bloßen Auge nicht unbedingt als identisch aufdrängt. Wer sich für die Einzelheiten der Beweisführung interessiert, kann das in dem Buch „Von Dürer an Raffael. Von Mantua nach Manoppello“ nachlesen. Dietz spricht dort vom „frommen Betrug“. Die Kapuziner, in deren Obhut das Tuch ist, verweigern jedenfalls bisher genauere Untersuchungen.

Da halten wir uns lieber an die soliden Fastentücher, die in unterschiedlicher Gestaltung die  Biblische Geschichte bebildern, eine ganz handwerklich-pragmatische Entstehungsgeschichte haben und keinerlei wundersame Wirkung beanspruchen.

 

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